StZ-Korrespondent Andreas Geldner zeichnet ein differenziertes Bild von Amerika und erklärt bei „StZ im Gespräch“, weshalb der amtierende Präsident Barack Obama um seine Wiederwahl bangen muss.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Deutschen würden Barack Obama wählen. Mehr als 90 Prozent würden ihre Stimme dem US-Präsidenten geben, zitiert Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, eine Umfrage. In den USA aber muss der einst gefeierte Obama um seine Wiederwahl bangen, was aus deutscher Sicht nur schwer zu verstehen sei. Mit dieser Bemerkung leitete Joachim Dorfs am Montag den Abend mit Andreas Geldner ein, der in den folgenden Stunden den rund 650 Zuhörern im Stuttgarter Haus der Wirtschaft einen tiefen Einblick in die USA vor der Wahl gab. Der StZ-Redakteur lebt seit 2007 als Korrespondent in Washington und wird Ende des Jahres wieder in die Zentrale nach Stuttgart zurückkehren.

 

„Viele Amerikaner fragen sich, ob Obama überhaupt noch Lust auf seinen Job hat“, erklärte Geldner den Absturz des Präsidenten in der Wählergunst. Immer wieder habe er bei öffentlichen Auftritten eine fast arrogante Distanz zum Politikbetrieb in Washington an den Tag gelegt. Gleichzeitig habe er sich während der Amtszeit durch seine fast unnahbare Art vom Volk entfernt. Nicht zuletzt aus diesen Gründen gelinge es ihm nicht, den gleichen Enthusiasmus wie vor vier Jahren zu entfachen. „Fast noch wichtiger aber ist“, ergänzte Geldner, „dass Obama in seinem Wahlkampf die zündende Idee fehlt.“ Aber der Amtsinhaber habe doch große Projekte wie die Gesundheitsreform angeschoben, erwiderte StZ-Politikchef Rainer Pörtner, der den Abend moderierte. Das sei ein Projekt, das Obama zu Ende führen müsse, damit könne man aber keine Wahlen gewinnen, sagte Geldner.

Die Lücke zwischen Ideal und Realität

Vor allem während der Fragerunde für die Zuschauer wurde deutlich, dass bisweilen eine große Lücke zwischen dem Idealbild von Obama, das offenbar in Deutschland vorherrscht, und der Realität klafft. Eine StZ-Leserin wollte wissen, wie die Amerikaner darauf reagieren, dass der Friedens-Nobelpreisträger Barack Obama das Gefangenenlager Guantánamo nicht wie versprochen geschlossen hat. „Es spielt keine Rolle, dass Obama sein Versprechen gebrochen hat“, entgegnete Andreas Geldner. „Er hat offenbar in der täglichen Realität erkannt, dass das Land anders nicht zu verteidigen ist.“ Zudem habe er als knallharter Pragmatiker festgestellt, dass ihm dieser Wortbruch keine politischen Nachteile bringe. Im Gespräch mit dem StZ-Korrespondenten sahen die Besucher plötzlich einen Obama, der seine Politik sehr kühl kalkuliert und auch dadurch viele seiner Anhänger desillusioniert hat.

Auf der anderen Seite brachte Geldner den Zuhörern Obamas Konkurrenten Mitt Romney näher, der Mann, der schon so viele politische Häutungen hinter sich habe. Der Multimillionär sei politisch kaum festzunageln, erklärte der StZ-Korrespondent, weil er Politik wie ein Verkäufer betreibe. Geldner: Wenn das angebotene Produkt dem Wahlvolk nicht gefalle, dann werde das Produkt eben verändert. Romney stelle sich dabei nicht die Frage, ob er glaubwürdig sei, er wolle schlicht Erfolg haben. Im Moment spreche vieles dafür, sagte Geldner, weil die Menschen ihm zutrauten, auf genau diese Art die aktuellen Probleme zu lösen. Mitt Romney stehe für einen politischen Neuanfang, den offensichtlich nicht wenige Amerikaner wagen wollen.

Keine einfachen Antworten

Immer wieder während des Abends betonte Andreas Geldner, dass es keine einfachen Antworten geben und sich die USA nicht in ein Schema pressen ließen. So stehe nicht ganz Amerika hinter jenem „Hurrapatriotismus“, der bisweilen über die Medien transportiert werde, das Bild sei sehr viel differenzierter. „Es gibt zum Beispiel eine große Unlust, weiter Krieg im Irak und in Afghanistan zu führen“, konstatiert der Korrespondent. „Die USA sind in den vergangenen Jahren insgesamt sehr viel nachdenklicher geworden.“

Was er an Amerika vermissen werde, wenn er nach fünf Jahren wieder nach Deutschland zurückkehren wird, wollte ein Zuhörer von Andreas Geldner wissen. Der überlegte nur kurz: „Mir wird die typische Grundgelassenheit fehlen, mit der die Amerikaner Probleme angehen.“ Der deutsche Perfektionismus wirke da bisweilen eher lähmend.