Ulrich Kleemann, einst Mitglied der Endlagersuchkommission, sieht den Zeitplan bei der Endlagersuche in Gefahr. Auch der Südwesten komme als Standort für Atommüll infrage.

Stuttgart - Ulrich Kleemann, einst Fachbereichsleiter im Bundesamt für Strahlenschutz und Mitglied der Endlagersuchkommission, bewertet mögliche Atomendlagerstandorte im Südwesten. Es existierten hier „nicht sehr große Bereiche“, die in Frage kämen.

 
Herr Kleemann, bei der Endlagersuche geht man von einer weißen Landkarte aus, das heißt, ganz Deutschland kommt in Frage. Wird Baden-Württemberg betroffen sein?
Ich habe mich früher als Fachbereichsleiter im Bundesamt für Strahlenschutz schon mit den geologischen Verhältnissen in Deutschland auseinandergesetzt und mit der Frage, welche potenziellen Wirtsgesteine in Frage kommen. Auch Baden-Württemberg steht im Fokus, allerdings nicht mit sehr großen Bereichen – aber es ist mit drin. Historisch betrachtet ist es nicht hoch genug einzuschätzen, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann das bundesweite Verfahren für eine Endlagersuche wieder auf den Weg gebracht hat: Mit dem Argument, wenn wir Atomkraftwerke haben und aus der Atomenergie einen Nutzen ziehen, dann können wir uns nicht verschließen, dass auch in Baden-Württemberg gesucht wird. Früher gab es allgemein die Linie, dass der Atommüll eines Tages in Gorleben landen werde und man nichts damit zu tun habe. Baden-Württemberg hat eine zentrale Rolle dabei gespielt, dass ein neuer Kompromiss zur Endlagersuche gefunden worden ist.
Welche Regionen in Baden-Württemberg müssen sich nun auf eine Standortdebatte einstellen?
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ich nicht das Verfahren durchführe. Die Abfragen von Daten bei den geologischen Landesämtern werden von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ausgewertet, die auf dieser Datengrundlage das Auswahlverfahren durchführt. Wir haben als Kommission festgelegt, welche Gebiete per se aufgrund von Ausschlusskriterien ausscheiden müssen, etwa erdbebengefährdete Gebiete oder junge Vulkangebiete. Dadurch werden große Bereiche Baden-Württembergs schon mal ausgeschlossen sein, beispielsweise der Oberrhein-Graben sowie die Bereiche des Vulkangebiets im Hegau. Im Ergebnis werden nur kleine Restflächen übrig bleiben. In Baden-Württemberg kommt als Wirtsgestein insbesondere der Opalinuston in Frage, der auch in der Schweiz für ein Endlager ins Auge gefasst wird. Das ist aber nicht die einzige Tonformation in Deutschland. In Norddeutschland existieren große und mächtige Tonvorkommen in der Unterkreide, die von Nordrhein-Westfalen über Niedersachsen bis hin nach Brandenburg existieren. Theoretisch kommen auch Kristallinvorkommen (Granit) in Baden-Württemberg in Frage, aber Granit gibt es auch in Bayern und in Sachsen.

Das dritte mögliche Wirtsgestein für ein unterirdisches Endlager ist Salz. Das haben wir doch auch in Heilbronn, kommt das in Frage?
In Heilbronn existiert ein relativ kleines Salzvorkommen, bei dem voraussichtlich die Mächtigkeit nicht ausreichend ist. Außerdem existiert dort eine Untertagedeponie. Nach dem Standortauswahlgesetz sind Gebiete ausgeschlossen, in denen bergbauliche Tätigkeit war oder ist. Ist der Untergrund schon angetastet, darf dort kein Endlager mehr hin. Ohne die genauen Verhältnisse zu kennen gehe ich dennoch davon aus, dass Heilbronn wohl nicht in Frage kommt. Aber ich würde empfehlen, in dieser Phase nicht schon über konkrete Standortregionen zu reden, da zunächst bundesweit gesucht werden muss. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat auf Basis der 2002er-Empfehlung des Arbeitskreises Endlagers (AKEnd), sozusagen dem Vorläufer der Endlagerkommission, schon vor einigen Jahren eine Deutschlandkarte mit potenziellen Wirtsgesteinen erstellt. Die Endlagerkommission hat sich mit den Kriterien des AKEnd auseinandergesetzt und sie in großen Teilen übernommen. Daher glaube ich, dass die neue Standortsuche nicht zu wesentlich anderen potenziellen Standortregionen führen wird.
Die BGE wollte eigentlich schon im Herbst einen Bericht abgeben, jetzt heißt es, man könne noch keinen Zeitplan nennen, wann es die Ausschlussregionen benennen will. Droht eine Verzögerung?
Hier sollte nach meiner Auffassung das nationale Begleitgremium darauf achten, dass das Auswahlverfahren im Sinne des Standortauswahlgesetzes durchgeführt wird. Wie sich herausstellte existieren bei den Akteuren unterschiedliche Auffassungen, in welchem Umfang geologische Daten benötigt werden. Da gibt es einerseits sehr weitreichende Forderungen von BGE und BFE, die flächendeckend eine große Fülle an Datenmaterial wünschen. Landesämter fühlen sich andererseits teilweise überfordert, zweifeln den Umfang der Forderungen an und wollen nicht jede kleine Grundwasserbohrung liefern. Ich begrüße, dass das Nationale Begleitgremium sich nun mit der Thematik befassen will und im Frühjahr einen Workshop zur Frage durchführen wird, welche Daten zwingend erforderlich sind. Die Geologie von Deutschland ist ja eigentlich bekannt. Wir brauchen keine flächendeckende geologische Kartierung von Deutschland um die potenziellen Wirtsgesteine zu identifizieren! Das hätte jedoch großen Einfluss auf die Zeitabläufe. Unnötig große Datenmengen führen zu einer erheblich längeren Verfahrensdauer.
Gerät der Zeitplan schon am Anfang ins Wanken?
Da habe ich große Sorge. Ich gehörte zu denjenigen in der Endlagerkommission die sagten, unser Ziel muss sein, den Zeitplan einzuhalten. Man muss ja schließlich auch an die Zwischenlagerstandorte denken, die eine Perspektive brauchen, wann die Abfälle denn dort mal wegkommen. Wichtig ist, dass man in Phase 1 zu einem beschleunigten Verfahren zur Eingrenzung der Standortregionen kommt. Je länger man am Anfang verzögert, desto schwieriger wird es, den Zeitplan zu halten. In der ersten Suchphase geht es um die Anwendung der Ausschlusskriterien zur Festlegung der nicht geeigneten Gebiete und es geht um die Erfüllung von Mindestanforderungen, wie Dichtigkeit, Mächtigkeit und Tiefenlage des Wirtsgesteins. Da in dieser ersten Phase keine Erkundungen stattfinden und nur auf bestehende Daten zurückgegriffen wird sollte man schnell zum Ergebnis kommen können. Denn: Man muss das Rad ja nicht neu erfinden.