Am Tag des offenen Denkmals hat Stuttgart unter anderem zur Besichtigung seiner ältesten Häuserzeile eingeladen. Dort haben sich am Sonntag sprichwörtlich Fenster in die Vergangenheit geöffnet.

Stuttgart - Ein Dutzend interessierter Besucher hat sich am Sonntagvormittag im einstigen Weinkeller des Fachwerkgebäudes in der Weberstraße 2 versammelt. Hier fußt der zentrale Stützpfeiler des kurz nach 1600 errichteten Hauses, und hier nimmt auch die Führung von Konrad Oberle anlässlich des Tags des offenen Denkmals ihren Ausgang.

 

Das Vorstandsmitglied des Verschönerungsvereins setzt in einer Zeit an, als die heutige Altstadt noch Neustadt war. Graf Eberhard III. hatte um 1400 damit begonnen, die Leonhardsvorstadt anzulegen und damit Wohnraum für außerhalb lebende Handwerker und Weinbauern zu schaffen. Das sanierte Schmuckstück in der Weberstraße wurde lange von Wengertern bewohnt. Hinter den schiefen Fenstern des Untergeschosses fand sich zeitweise zudem eine Wirtschaft. Heute ist hier, unweit der ehemaligen Stadtmauer, der Schwäbische Heimatbund zu Hause. Unter dem Dach hat auch der Verschönerungsverein Stuttgart Räumlichkeiten.

Ein Sarg im Sado-Maso-Studio

Die jüngere Geschichte des Bauwerks passt hervorragend zum Motto des diesjährigen Aktionstags: „Gemeinsam Denkmale erhalten“. Genau das haben die beiden Vereine mit vereinten Kräften getan, als es Anfang der 90er Jahre so aussah, als sei der Abbruch der historischen Häuserzeile unausweichlich. Die damalige Landesgirokasse hatte Pläne für eine Neubebauung des Areals zwischen Wilhelmsplatz und Weberstraße vorgelegt. Das Denkmalamt stimmte dem Abriss wegen unzumutbarer Modernisierungskosten zu. Doch die Stadt ließ sich von den engagierten Denkmalschützern umstimmen. „Es ist schon ein Wunder, dass diese Gebäude die Zeiten überdauert haben“, stellt Konrad Oberle fest und berichtet vom maroden Dachgiebel und einer spontan einstürzenden Kellermauer. Unvergessen bleibt auch die Entrümpelung des Sadomaso-Studios, das für eine Weile im historischen Ambiente untergekommen war. So wurde ein Sarg zutage gefördert, der sich heute im Kasseler Museum für Sepulkralkultur, der Kultur der Grablege, befindet.

Die Sanierung der Weberstraße 2 und der anliegenden Richtstraße 1 und 3 hat sich gelohnt. Die Vereinsräume und das hauseigene Archiv sind behutsam in die alte Bausubstanz integriert. Immer wieder stößt man auf Zeugen der Geschichte. Hier sind auf einer Fläche Tapetenschichten freigelegt, die von der Biedermeier-Zeit bis in die 1960er Jahre hinein reichen, dort verweist ein rußgeschwärzter Mauerabschnitt auf einen ehemaligen Rauchfang. Oberle spricht treffend von „Fenstern in die Vergangenheit“. Sie wurden bereits 1996 im Zuge eines Tags des offenen Denkmals gewürdigt. Damals zählte man 600 Gäste.

850 Veranstaltungen im ganzen Land

Auch am Sonntag war der Andrang groß. Dabei mangelte es nicht an Alternativen: Baden-Württemberg lockte mit einer Rekordzahl von 850 Denkmalsveranstaltungen mit 450 000 Besuchern. In Stuttgart konnte man neben dem Besuch in der Altstadt auch die Aussicht vom 1894 erbauten Daimlerturm im Cannstatter Kurpark genießen, der erstmals seit 2010 seine Pforten öffnete – oder die 1891/92 errichtete Villa Olymp am Bopser besichtigen. Der seit 1993 veranstaltete Tag des offenen Denkmals soll das Bewusstsein für die Bedeutung des Denkmalschutzes stärken. Katrin Schütz, Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, bezeichnete den Erhalt von Kulturdenkmalen als Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Sie stellte aber auch klar, dass er nur durch die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern mit Leben gefüllt werden könne.