Exklusiv Die Regierung scheut sich vor größeren Eingriffen ins Streikrecht. Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit in Betrieben soll abgeschwächt werden.

Berlin - Die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will nach Informationen der Stuttgarter Zeitung das geplante Gesetz zur Tarifeinheit in Betrieben abschwächen. Mit dem Gesetz wollte die große Koalition ursprünglich den Einfluss kleiner, aber durchsetzungsfähiger Gewerkschaften begrenzen. Wie aus Koalitionskreisen verlautete, bereiteten die Ministerien eine entschärfte Regelung vor. In dem Gesetzentwurf soll zwar festgeschrieben werden, dass künftig der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Unternehmen maßgeblich sein soll. Was dies für das Streikrecht von Gewerkschaften bedeutet, will die Regierung aber nicht vorschreiben. In informierten Kreisen hieß es, über die genaue Auslegung müssten dann die Gerichte entscheiden. Ursprünglich wollte die Politik verhindern, dass Betriebe häufig von kleinen Spartengewerkschaften bestreikt werden.

 

Anfangs hatte das Arbeitsministerium eine weitergehende Regelung vorgesehen. Bis vor Kurzem wollte das Arbeitsministerium in dem Gesetz ausdrücklich festschreiben, dass sich streikfreie Zeiten, also Phasen der so genannten Friedenspflicht, nach dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft richten. Dieser Punkt war in den Eckpunkten zum Gesetz noch enthalten, die im Juli bekannt wurden. Damals umschrieb das Arbeitsministerium die Ziele wie folgt: „Soweit sich im Betrieb Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, kommt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung, der im Betrieb mehr Mitglieder hat.“ Dieses Prinzip solle sich auch auf die Friedenspflicht auswirken, hieß es.

Mit dieser Formulierung hätte der Gesetzgeber klargestellt, dass Gewerkschaften mit weniger Mitgliedern an die Friedenspflicht der größeren Gewerkschaft gebunden sind. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass konkurrierende Gewerkschaften in einem Betrieb abwechselnd zu Streiks aufrufen, wie dies zurzeit bei der Deutschen Bahn AG zu beobachten ist.

Bedenken aus dem Innen- und Justizministerium

Gegen eine weitgehende Regelung bestehen im Innen- und Justizministerium offenbar verfassungsrechtliche Bedenken. Einen Eingriff in das Streikrecht will die Regierung mittlerweile vermeiden. Die Koalition will bei überschneidenden Tarifverträgen nur noch gesetzlich festlegen, dass der Tarifvertrag gilt, an den die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Welche Folgen sich daraus ergeben, soll jedoch offen bleiben.

Das Bundesarbeitsministerium wollte zum aktuellen Stand der Beratungen nicht Stellung nehmen. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung läuft die ins Auge gefasste Regelung aber darauf hinaus, dass in Zukunft die Gerichte bestimmten müssen, wie sich das Gesetz zur Tarifeinheit auf das Streikrecht auswirkt.

Gesetzesentwurf soll bis zum Herbst vorliegen

Die Regierung will mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften beraten, ob sie unter diesen Bedingungen ein Gesetz mittragen. Darüber sollte am Dienstag bei der Klausur der Regierung mit den Sozialpartnern auf Schloss Meseberg gesprochen werden. Bei diesem Treffen geht es zwar in erster Linie um übergeordnete Themen wie den Innovations- und Investitionsstandort Deutschland. Wie aus dem Ablaufplan zur Tagung in Meseberg hervorgeht, wird über wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen in Deutschland und Europa gesprochen.

Am Rande der Gespräche will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jedoch auch mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über die Tarifeinheit reden. Die Bundesregierung hat angekündigt, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände das Vorhaben unterstützen. Ob sich die Wirtschaft mit dem abgespeckten Gesetz abfindet, ist noch offen. Die Verbände wollten sich zum Stand der Verhandlungen nicht äußern. In der Wirtschaft gibt es dem Vernehmen nach Stimmen, die argumentieren, eine abgeschwächte Regelung sei besser als kein Gesetz. Auf Seite der Gewerkschaften ist der Meinungsbildungsprozess noch offen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi lehnt eine gesetzliche Regelung ab. Im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) soll es jedoch eine Mehrheit für eine gesetzliche Reglung geben. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann soll ein Gesetz ebenfalls befürworten.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander, pocht auf eine gesetzliche Regelung. „Wenn trotz gültigen Flächentarifs jederzeit eine Minderheit den gesamten Betrieb lahmlegen kann, ist unser gesamtes System der Flächentarife bald hinfällig“, sagte Zander. Die Tarifeinheit sei auch eine Frage der Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer. Weil Spartengewerkschaften ausschließlich die Interessen einer kleinen Minderheit im Unternehmen durchsetzten, sorgten sie für eine Umverteilung von unten nach oben, sagte Zander.