Ein totes elfjähriges Mädchen und die Machenschaften eines Rüstungskonzerns – das klingt düster. Die Stärke des ersten Schwarzwald-„Tatorts“ ist, dass die Verantwortlichen keinen großen, spektakulären Aufschlag angestrebt haben.

Stuttgart - „Es gab ja kaum einen Oberbürgermeister in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, der nicht den Hut in den Ring geworfen hat für ein neues ‚Tatort‘-Format“, sagt Manfred Hattendorf, der kommissarische Fernsehfilmchef des SWR. Anlass seines Rückblicks ist „Goldbach“, der nach einem fiktiven Örtchen benannte erste Schwarzwald-„Tatort“, in dem Hans-Jochen Wagner und Eva Löbau alias Friedemann Berg und Franziska Tobler ermitteln. Am Donnerstag zeigte der SWR den Film erstmals der Presse, nach Vorpremieren beim „Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen und beim Krimifestival „Tatort Eifel“ im September wird er am 1. Oktober schließlich in der ARD zu sehen sein.

 

Der Schwarzwald-„Tatort“ ist der Nachfolger des Bodensee-„Tatorts“ mit der Ermittlerin Klara Blum (Eva Mattes); im Dezember 2016 lief er zum letzten Mal. Dass sich die Verantwortlichen für die gesamte Schwarzwald-Region als Ermittlungsgebiet entschieden haben, sieht Bernd Lange, der Drehbuchautor von „Goldbach“, als großen dramaturgischen Vorteil: „Es gibt den Hochschwarzwald, aber auch Städte wie Freiburg oder die Grenzregion zur Schweiz – die Geschichten für Berg und Tobler können dadurch sehr breit gefächert sein.“

Das Mordopfer in „Goldbach“, inszeniert von Robert Thalheim, der zum ersten Mal bei einem „Tatort“ Regie geführt hat, ist die elfjährige Frieda Reuter. Sie wird im Wald erschossen aufgefunden. Eine der beiden Nachbarsjungen, der mit ihr dort gespielt hat, wird nach der Tat vermisst, der andere scheint mehr zu wissen als er sagt. „Goldbach“ entwickelt auf dieser Basis ein Psychogramm der drei durch die Tat miteinander verbundenen Familien, die sich in beschaulichen Häusern eingerichtet haben.

Und dann kommt ein Rüstungskonzern aus der Region ins Spiel

Im Laufe der Handlung kristallisiert sich heraus, dass es in den Kleinfamilien schon länger kriselt. Friedas Eltern haben sich auseinander gelebt, einem anderen Paar macht zu schaffen, dass der Herr im Haus als freier Programmierer offenbar zu wenig verdient. Friedas Tod bricht die Fassaden auf, er wirkt wie der Endpunkt gescheiterter Lebensentwürfe. Ihr Vater, ein Arzt, sagt: Da sei man nun an den „Arsch der Welt“ gezogen – „Jeden Tag 40 Kilometer in die Klinik“ –, und dann passiere so etwas. Wer aus der Stadt flieht, weil er fernab davon die Idylle zu finden glaubt, flieht womöglich vor etwas ganz anderem – das ist eine Erkenntnis, zu der dieser Film führen kann.

Die zweite Ebene von „Goldbach“ ist die Allgegenwart von Waffen in der Region, in der Regisseur Thalheim und Buchautor Lange ihren Film angesiedelt hatten. Dieser „Tatort“ macht deutlich, wie leicht man sich über das Darknet mittlerweile illegal Waffen beschaffen kann. Als die Polizei bei der Suche nach dem vermissten Jungen im Wald ein Versteck mit kriegstauglichen Waffen entdeckt, kommt in diesem Zusammenhang ein in der Realität sehr bekannter, wenn auch hier namentlich nicht erwähnter Rüstungskonzern aus der Schwarzwald-Region ins Spiel. „Es ist ja nicht das erste Mal, dass Waffen irgendwo landen, wo sie nicht hingehören“, sagt Kommissar Berg an einer Stelle – man kann das als eine insiderische Anspielung auf die illegalen Waffenexporte des Unternehmens verstehen, die der SWR 2015 sowohl fiktional („Meister des Todes“) als auch dokumentarisch („Tödliche Exporte“) aufgegriffen hat. Zumindest in dieser Hinsicht steht der erste Film mit den beiden Schwarzwald-Kommissaren in einer gewissen SWR-Tradition, sagt Manfred Hattendorf.

Starker Auftakt

„Eine Waffe zu tragen, ist eine Verantwortung, die man eigentlich gar nicht tragen kann“, sagt Eva Löbau, nachdem sie als „Tatort“-Figur nun damit konfrontiert worden ist, wie es ist, eine Waffe in der Hand zu haben. Sie sagt, wie auch ihr Kollege Wagner, sie sei froh, in einem Land zu Leben, in dem „strenge Waffengesetze“ gelten. „Goldbach“ zeigt aber, dass diese zumindest dann nicht helfen, wenn Kriegswaffen auf den privaten Markt geraten.

So nachvollziehbar es ist, dass eine Reihe wie der „Tatort“ Wiedererkennungselemente braucht: Überstrapaziert wirkt in „Goldbach“ der Konflikt zwischen dem leicht aufmüpfigen Kommissar Berg und der bremsenden Vorgesetzten, der Kriminaloberrätin Cornelia Harms (Steffi Kühnert), der die Rüstungsfirma und der zuständige Landesminister auf die Pelle gerückt sind. Kühnert spielt jene Rolle, die zumindest in entfernt ähnlicher Form ursprünglich für Harald Schmidt vorgesehen war, der sie dann aber kurzfristig absagte.

Die Stärke des ersten Schwarzwald-„Tatorts“ ist dagegen, dass die Verantwortlichen keinen großen, spektakulären Aufschlag angestrebt haben. Man habe die beiden Kommissare „zurückhaltend eingeführt“, betont SWR-Mann Hattendorf. Tatsächlich ist der Fall hier wichtiger als die Ermittler. Der nächste Schwarzwald-„Tatort“ wird im Herbst gedreht, zum Inhalt will der Sender derzeit noch nichts sagen. Wie sich die Figuren entwickeln, „wissen wir teilweise selber noch nicht“, sagt Hans-Jochen Wagner. Eva Löbau ergänzt: „Wir haben uns nicht komplett entäußert. Auch wir entdecken unsere Charaktere in den Situationen, in die wir in den kommenden Folgen gebracht werden.“