Die „Tatort“-Ermittler aus Saarbrücken müssen aufhören. Aber auch sonst ist immer Bewegung im Krimi-Flagschiff der ARD.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Das „Tatort“-Jahr 2011 ist mit drei Paukenschlägen zu Ende gegangen. Im November verstörte der Saarländische Rundfunk (SR) mit der Nachricht, er entlasse seine Ermittler Kappl und Deininger, also die Schauspieler Maximilian Brückner und Gregor Weber. Deren Story sei „zu Ende erzählt“, hieß es vom SR. Eine ärgerliche Entscheidung, denn die Saarbrücker hatten nach einer längeren Anlaufzeit gerade richtig Fahrt aufgenommen und nicht nur an Profil, sondern auch deutlich an Einschaltquoten gewonnen.

 

Noch ärgerlicher wurde die Entlassung angesichts der Kritik der beiden Darsteller am SR: Sie seien rausgeworfen worden, weil sie sich für bessere Drehbücher und Autoren eingesetzt hätten, gab Weber zu Protokoll. Auch bei ihrer letzten Folge „Verschleppt“ (Sonntag, 20.15 Uhr) habe das Drehbuch erhebliche Schwächen aufgezeigt. Brückner und er hätten „hier improvisiert, da geflickschustert“, um die Mängel auszubürsten, hat Weber jetzt in einem Interview noch einmal nachgesetzt.

Schlichte Story, gewagte Umsetzung

Doch die tatsächlich eher schlichte Story fällt angesichts des monströsen Sujets und der formal gewagten Umsetzung (Regie: Hannu Salonen) nicht weiter ins Gewicht. „Verschleppt“ ist an den Fall Natascha Kampusch angelehnt: Mehrere Mädchen werden mitten in Saarbrücken über Jahre hinweg unter schauderlichsten Bedingungen gefangen gehalten. Eines kann sich befreien – und wird umgebracht, aus einem zweiten, das gefunden wird, ist nichts herauszubringen, ein drittes wird noch in der Gewalt des Täters vermutet. Der Krimi ist ein Psychoschocker; mit Horrorfilmelementen, einer beklemmenden akustischen Inszenierung und Ermittlern, die der psychischen Belastung nicht standhalten können. Einmal rastet Deininger im Büro völlig aus, dann schlägt Kappl auf einen Verdächtigen ein – laut Weber Szenen, die ursprünglich so nicht im Drehbuch gestanden haben sollen.

Dass ein Sender hervorragende Darsteller verschmäht, die mitdenken und sich für Qualität einsetzen, ist nur schlecht nachzuvollziehen und gibt der Nachfolgerreglung einen unangenehmen Beigeschmack, so stolz der SR auf den Neuzugang Devid Striesow auch sein kann. Sein Name war der zweite Paukenschlag aus Saarbrücken, denn Striesow dürfte wohl zu den derzeit gefragtesten deutschen Schauspielern gehören; zuletzt hat er auf der Kinoleinwand als sexuell daueraktiver und zwischen den Geschlechtern hin- und herpendelnder Berlin-Bewohner in Tom Tykwers „Drei“ eindrucksvoll agiert. An seiner Seite soll Elisabeth Brück mit ermitteln, ein dem Publikum weniger vertrautes Gesicht.

Til Schweiger soll für Quote sorgen

Die dritte Aufsehen erregende „Tatort“-News am Jahresende folgte aus Hamburg. Dort hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) Anfang Dezember Til Schweiger als Nachfolger von Mehmet Kurtulus aus dem Hut gezaubert. Schweiger, der „Keinohrhasen“- und „Kokowääh“-Mann mit Hollywood-Erfahrung. Aber eben auch Schweiger, den die Kritiker angesichts seines allzu publikumsgefälligen Popcornkinos nicht mögen und der beleidigt aus der Deutschen Filmakademie ausgetreten ist, weil diese seine Filme bei ihren Nominierungen ignorierte.

Doch egal, wie man zu Schweiger steht: mit dessen Prominenz und Popularität kann sich das deutsche Fernsehen jetzt wieder (in den Neunzigern war Schweiger als Assistent von Hannelore Elsners „Kommissarin“ auf dem Schirm) schmücken. Für die mit 41 Jahren älteste und erfolgreichste deutsche Krimireihe sind Schweiger wie auch Striesow gewichtige Neuzugänge – sie werden dem „Tatort“ in nächster Zeit viel Aufmerksamkeit bescheren. Noch eine weitere Veränderung steht 2012 an, deren Verkündung allerdings weniger Wirbel verursachte: In Nordrhein-Westfalen geht neben dem Kölner Krimiehepaar Ballauf und Schenk und den Komikern aus Münster ein drittes Team in Dortmund an den Start, mit Jörg Hartmann, Anna Schudt und Aylin Tezel.

Beständigkeit durch Wandel

So umstritten manche der Personalien sein mögen, belegen sie doch zweierlei: Auch nach mehr als vierzig Jahren ist im „Tatort“ Bewegung drin. Beständigkeit durch Wandel, das ist es, was die Reihe auszeichnet und ihr wieder steigenden Zuspruch verschafft: 2011 erreichte sie einen durchschnittlichen Marktanteil von 22,7 Prozent, 2006 waren es 20,3 Prozent. Das vergangene Jahr hielt ja, neben den Coups am Schluss, noch weitere Neuerungen bereit. Ulrich Tukur setzte als tumorkranker, einsamer Wolf ganz eigene Akzente; für den Hessischen Rundfunk stiegen zudem Joachim Król und Nina Kunzendorf als sich symbiotisch ergänzendes Paar ein. Nimmt man zu den neuen Namen altgediente, aber ebenso herausragende Figuren wie Eva Mattes, Ulrike Folkerts, Axel Milberg, Axel Prahl oder Jan Josef Liefers hinzu, ergibt sich schnell ein kleines „Who’s who“ des deutschen Fernsehens.

Dabei wird immer wieder gestaunt, dass sich solche Stars dazu hergeben, einen schnöden Polizisten zu spielen. Dabei wäre es nur dumm, durchschnittlich acht Millionen Zuschauer zu verachten. Für die Schauspieler ist die Teilhabe am liebsten Sonntagsritual der Deutschen immer noch ein Trumpf im Portfolio; ihre Namen sind ein Beleg für die Attraktivität und das Potenzial des Formats, und sie haben das Zeug, beides noch zu stärken.

Seismograf für die Gesellschaft

Aus der Varianz der Ermittlertypen, den regionalen Eigenheiten, aber auch durch die Rolle des „Tatorts“ als Seismograf der gesellschaftlichen Veränderungen ergeben sich unterschiedliche Profile, mit denen sich die Zuschauer identifizieren oder auch nicht, und so halten Fans und Gegner einzelner Ermittler(gespanne) die Reihe im Gespräch. Die hat freilich auch unübersehbare Schwächen: zu viel floskelhafte Dialoge, zu viel Sozialdrama, zu viel lieblose Dramaturgien und zu viel Hype um die Ermittler, ohne bei deren Rollenpsychologie in die Tiefe zu gehen. Diesen Gefahren zu begegnen, wird Til Schweigers große Herausforderung sein, den der NDR aus reinem Quotenkalkül verpflichtet hat. Dass Mehmet Kurtulus aufhört, ist ein Verlust. Cenk Bau, der verdeckte Ermittler mit türkischem Migrationshintergrund, hat dem „wöchentlichen Fernsehbrot“, wie die FAZ einmal schrieb, einen ungewohnten Belag verpasst, der jedoch vielen nicht mundete. Die Befürchtung, dass mit Schweiger die Krimiware wieder konfektionierter, die Erzählweisen traditioneller daherkommen, ist nicht unberechtigt.

„Spiegel-Online“ äußerste indes die Hoffnung, dass mit Schweiger dem deutschen Fernsehen wieder eine Figur mit „mythischer Qualität“ erwachsen könnte, so wie einst Schimanski. An sich ein schöner Gedanke. Die Frage stellt sich, ob die Zeit für Actionhelden nicht abgelaufen ist, oder wie ein solcher im 21. Jahrhundert beschaffen sein müsste, um zu verfangen. Die Antwort von einem Til Schweiger zu erwarten ist verwegen. Doch solange der „Tatort“ zum Träumen verführt, kann es nicht allzu schlecht um ihn bestellt sein.