Im ehemaligen Buchladen wird weiterhin die Tinte im Vordergrund stehen – in Form von Tattoos. Viviana Troiano eröffnet ein Studio. Jede freie Hautfläche inspiriere sie zu neuen Ideen, sagt die 23-jährige Tätowiererin.

Rohr - Als Viviana Troiano noch zur Schule ging, beschlagnahmten die Lehrer oft die Blätter, die das Pult säumten. Um sich zu konzentrieren, zeichnete die damalige Schülerin: Sie füllte Blöcke, Hausaufgabenhefte und zum Leidwesen der Eltern auch die Oberarme der Mitschüler mit ihren Zeichnungen. Doch was der Schülerin bei der Konzentration half, empfanden ihre Lehrer als Ablenkung.

 

Inzwischen verdient die 23-Jährige ihr Geld damit, ihre Kreativität auf der Haut auszuleben. Bisher stach sie in ihrem Studio an der Osterbronnstraße Motive. Nun zieht die Tätowiererin um: Dort, wo erst vor kurzem die Rohrer Buchhandlung schloss, eröffnet Troiano ihr neues Tattoostudio mit dem Namen „Stichtag“.

Zeichnen ist für sie das Natürlichste der Welt

Gezeichnet hat sie schon als kleines Kind, als sie im Fasanenhof aufwuchs. Während die Eltern der anderen Kindergartenkinder das Gekrakel ihrer Söhne und Töchter kaum betiteln konnten, malte Troiano damals schon Bäume mit Konturen. „Das Zeichnen war für mich das Natürlichste der Welt: Es hat immer zu mir gehört“, sagt die junge Frau. Außerdem liege es ihr in den Genen: Schon ihr Opa habe in Rumänien gezeichnet.

Vor ihrem Abschluss der Realschule informierte sich Troiano darüber, was sie mit ihrem Talent anstellen könnte: „Tätowierer ist kein Ausbildungsberuf in Deutschland“, sagt sie. Man könne zwar Workshops und Ausbildungstage absolvieren, doch damit habe man keine Ausbildung in der Tasche – und Geld koste das noch dazu. Deshalb habe sie sich für eine Ausbildung zur Grafikdesignerin entschieden.

Ein Fernseher geht kaputt, ein Tattoo hält ewig

Das Tätowieren verlor sie währenddessen nie aus den Augen. Um Geld für ihren Traumberuf zu sparen, arbeitete sie nebenher in einem Café, in welchem sie auf ihren zukünftigen Mentor traf. Der habe zu ihr gesagt: „Wenn dir das, was du auf dem Papier hinkriegst, auch auf der Haut gelingt, dann arbeitest du bei mir.“ Gesagt, getan: Neben ihrer Ausbildung lernte sie zusätzlich das Handwerk des Tätowierens. Troiano fing Feuer: Bisher waren viele ihrer Zeichnungen im Müll gelandet, hätte man doch für das ganze Papier ein Kellerabteil mieten müssen. „Ein Fernseher, ein Auto oder eine Waschmaschine können kaputt gehen. Ein Tattoo hält ewig. Ich vertraue dem Kunden, dass er das Kunstwerk für immer behält, es pflegt und bewahrt“, sagt sie. Sie selbst trägt keine Tinte unter ihrer Haut: „Es war noch nie mein Wunsch, selbst Tattoos zu haben. Wer bei Porsche arbeitet, muss ja auch keinen Porsche fahren.“ Der Grund dafür sei einerseits, dass sie sich für kein Motiv endgültig entscheiden könne, andererseits rege ein leeres Blatt Papier ihre Kreativität an. Jede freie Hautfläche inspiriere sie zu neuen Ideen. Um den Schmerz ihrer Kunden nachvollziehen zu können, hat sie sich aber trotzdem unter die Nadel gelegt: Ihren Körper zieren unterschiedliche Motive, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind – sie wurden ohne Farbe gestochen. Einzig kleine Schatten erinnern an die Tattoos.

In ihrem alten Studio lernt sie andere Tätowierer ein

Die Motive für Tattoos entwickelt Troiano selbst. Dafür legt sie Nachtschichten ein. Deshalb steht in ihrem Büro im Untergeschoss des Ladenlokals ein Klappbett, eines der ersten Möbel in ihren neuen Räumen. Von der Buchhandlung konnte sie viele der Bücherregale aus Holz übernehmen, und die wertet sie jetzt in Eigenregie auf. So wie sie in der Schule die Hände auch nicht von den unbemalten Armen ihrer Nebensitzer lassen konnte, spornen sie nun die kahlen Wände an: „Das ursprüngliche Weiß der Wand muss jetzt einem bunten Wald weichen“, sagt Troiano.

Sie hat noch viel zu tun, bis die drei Räume ihres neuen Tattoostudios ihren Vorstellungen entsprechen. Ihr altes Studio, das sich direkt um die Ecke an der Osterbronnstraße befindet, wird sie nicht aufgeben: „Ich wäre sehr traurig gewesen, wäre ich von der S-Bahn aus dort vorbeigelaufen und darin wäre in Zukunft ein Telekom-Shop oder so gewesen.“ Stattdessen lernt sie dort fünf Stecher- und Stecherinnen in ihre Arbeit ein, die sie in Zukunft unterstützen sollen. „Rohr könnte eine kleine Metropole des Stichtages werden“, sagt sie. Hier hat sie mit ihrem Tattoostudio ihre Heimat gefunden.

Der Tinte auf Papier Tribut zollen

Viviana Troiano sagt, sie sei nicht auf Laufkundschaft, die sich schnell entschlossen ein Tattoo stechen lassen wolle, aus. Die treffe man vor allem in der Innenstadt an. „Ich bin unglaublich verliebt in den Stadtteil. Es ist ein Ort, um Kunden ein Zuhause zu bieten.“ Deshalb verstehe sie aber auch, wie schwerwiegend der Verlust der alteingesessenen Buchhandlung gewesen sei. Deshalb möchte sie dieser Tribut zollen, indem sie statt Monitore Zeichnungen im Schaufenster ausstellt und damit der Tinte auf Papier treu bleibt.