Trockenen Fußes durch den Fluss? Für die Matrosen an Bord der einzigartigen „Carl Straat“ ist das Alltag. Sie suchen dort zum Beispiel nach verlorenen Ankern, die Containerschiffe aufschlitzen könnten.

Dormagen - Kraftvoll zieht Dirk Münstermann das schwere Schott heran, verriegelt es von innen. Dann dreht er an einem Rad. Sofort drückt etwas Unsichtbares auf die Ohren. Man beginnt zu schlucken. Doch das ist Sinn der kleinen Kammer, die ein wenig an eine Raumfahrerkapsel erinnert: In dieser Druckluftschleuse wird der Luftdruck an den Überdruck angeglichen, der gleich zehn Meter tiefer in der stählernen Taucherglocke herrschen wird – auf dem Grund des Rheins.

 

Erst nach einigen Minuten kann Sebastian Czwalinna, der zweite Matrose, die Stahlluke öffnen. Hinter ihr beginnt ein enges Schachtrohr, das über eine 15 Meter lange Eisentreppe scheinbar in den Orkus führt. Denn mit jeder Stufe verstärken sich Dunst und Höllenlärm. Es ist dröhnend laut, schwül – und neblig. „Das rührt aus der Temperaturdifferenz zwischen der warmen Luft in der Glocke und dem Rheinwasser“, schreit Münstermann gegen den Krach an, den die schnelle Strömung und der an den Stahl der Glocke brandende Flusskies verursachen.

Die Luftfeuchte liegt bei fast 100 Prozent, der Druckmesser zeigt knapp doppelten Luftdruck an. Das sei heute schon extrem, versichern die Männer. So tief unter Wasser arbeite man nur zwei-, dreimal im Jahr. Die Taucherglocke funktioniert wie ein umgestülptes Glas, das man ins Wasser drückt. Sobald ihre Unterkante in den Rhein taucht, bläst ein Kompressor Druckluft in sie hinein. So entsteht ein Überdruck, der das Wasser aussperrt.

Auch versunkene Autos haben sie schon gehoben

Im Moment schäumt der Fluss in der Glocke knapp schienbeinhoch. Hier und da sieht man schon den Grundkies. Die Männer greifen sich Eisenstangen und bewegen sie schlangenförmig über die Sohle. Was sie suchen, hier an Rheinkilometer 710,700, sind verlorene Anker. Also solche, die einem Schiff mal abgerissen sein können, als es am Kai lag. Die „Carl Straat“ arbeitet heute an einem recht heiklen Einsatzort: dem Verladehafen des „Chemparks“ in Dormagen. Hier werden teils giftige, teils explosive Dinge in Spezialfrachter verfüllt. Und die Matrosen wissen, Rheinkähne mit solch diffiziler Fracht dürfen nicht stark durchgeschüttelt, geschweige von unten aufgerissen werden – etwa durch einen verborgenen Anker im Hafenbecken, den die Strömung mit der Zeit aufgerichtet hat. Immerhin haben schwere Containerschiffe einen Tiefgang bis knapp vier Meter.

Dann ein dunkler Schatten im schäumenden Wasser! Ein Anker? Münstermann greift zum Telefon, ruft die Brücke an. Sofort senkt der Schiffsführer die Glocke vollends. Mit ihren 120 Tonnen gräbt sie sich tief in die Rheinsohle. Jetzt lässt es sich trockenen Fußes auf dem Grund des Rheines wandeln – zehn Meter unter der Oberfläche. „Alles jungfräulich, hier hat noch nie ein Mensch gestanden“, sagt Czwalinna. Doch sie haben nur einen Balken aufgespürt. Er lässt sich per Hand herausholen.

Die 2,5 Meter hohe Glocke hebt sich wieder leicht. Erneut rauscht ein flacher Streifen Rhein mit ein, zwei Metern pro Sekunde über die Sohle. Das Duo setzt seine Arbeit fort. Weshalb aber so antiquiert, also mit langen Stangen statt einem Metalldetektor? „Der wäre überfordert bei so viel Eisen hier drinnen“, rufen sie. Auch so wissen sie genau, wie sich anfühlt und anhört, wonach sie fahnden: Ein großer Steinbrocken klingt halt anders als Ankerstahl. Oder gar ein versenktes Auto, wie jener Smart, den sie 2011 im Rhein bargen. Da die Glocke 15 Tonnen hebt, sei ein Auto kein Problem.

Gleichmäßig forschen sie mit ihren stählernen Wünschelruten durch den trüben Rheingrund. Und es bleibt nicht unbeobachtet. Zehn Meter und zwei Decks höher hat Schiffsführer Thomas Bach per Monitor alles im Blick. Zugleich ist er ihr wichtigster Navigator. Denn da die Glocke unbeweglich ist, muss er stets das ganze Schiff bewegen, damit seine Leute unten punktgenau nach einem festgelegten Raster agieren können. Dazu giert er, wie es im Fachjargon heißt, den Spezialkahn an zwei Stahlseilen zehn bis 15 Meter hin und her.

Nach vier Stunden ist Schluss – aus gesundheitlichen Gründen

Für Bach ist das schlicht Handwerk und Erfahrung. „Wir manövrieren eben viel mehr als ein normaler Frachter“, erzählt er. Häufiges Drehen, gegen die Strömung lenken, in kleine tückische Löcher hineinfahren – das gehöre zu ihrem täglichen Job. Während er erzählt, wandern seine Augen auf der Brücke unentwegt umher. Er beobachtet den Schiffsverkehr, hat ein Auge auf das Bordradar, hört den Funkverkehr ab, kontrolliert das Echolot. Nur das GPS, sonst für ihn „eine feine Sache“, nutzt für den heutigen Job wenig. Gewöhnlich arbeitet die siebenköpfige Crew der „Carl Straat“, wenn sie Hindernissen in den Fahrtrinnen von Rhein oder Mosel nachspürt, als Dienstleister für Wasserstraßenämter. Deren Messboote haben zuvor per Fächerecholot Fremdkörper am Grund lokalisiert und geben ihnen dann die GPS-Koordinaten durch, damit sie diese heben können. Hier im Hafen müssen sie indes den ganzen Grund pedantisch absuchen, Quadratmeter für Quadratmeter.

Erst zwei Tage zuvor hatten die Männer unten einen abgerissenen Anker entdeckt. „Made in Korea, nicht die allerbeste Güte“, winken sie ab. Heute wird es für sie indes ein kurzer Tag auf dem Rheingrund. Denn ab 8,50 Meter Wassertiefe dürfen sie maximal vier Stunden am Tag unten bleiben – aus gesundheitlichen Gründen.

Später, beim Essen, klönen sie noch ein wenig darüber, was ihr Schiff mittels der Taucherglocke schon alles aus der Tiefe hievte. Container sind darunter, so als 2007 ein Frachter bei Köln gleich 14 davon verlor. Oder eine Weltkriegsbombe, die noch auf dem Kies des Rheines hin und her rollte, als sich schon die Glocke darüber gestülpt hatte. „Da bleibt Dir die Luft weg“, raunen sie. Und immer wieder Autos. „Oft wohl versuchter Versicherungsbetrug“, mutmaßt Bach. Einmal habe aber eine Leiche am Steuer gesessen.

Das Tauchglockenschiff „Carl Straat“

Aufgaben
Das einzigartige Spezialschiff wird gerade 50 Jahre alt. 1963 lief es in Lübeck vom Stapel. Namensgeber war ein früherer Präsident der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Duisburg. Duisburg ist auch Heimathafen des Schiffes, das 250 Tage im Jahr auf Rhein und Mosel im Einsatz ist. Die Crew kontrolliert Bauwerke wie Brücken und Wehre. Regelmäßig übernimmt sie auch heikle Aufträge, etwa die Suche nach Hindernissen. Dazu verwendet sie ihre vier mal sechs Meter große Taucherglocke, die bis zu zehn Meter tief ins Wasser gelassen werden kann.

TV-Auftritte
Zweimal spielte die „Carl Straat“ auch schon in TV-Filmen mit, so im Ludwigshafener Tatort „Hauch des Todes“ (2010). Für den Showdown in der Tauchglocke hatte man die Szene aber im Studio nachgebaut.