In Stuttgart ist jetzt der weltweit erste Roboter vorgestellt worden, der direkt mit Menschen zusammenarbeiten darf. Der Rotoberarm soll insbesondere auch behinderten Menschen in der Produktion ein Hilfe sein.

Stuttgart - Der weltweit erste Roboter, der für die direkte Zusammenarbeit mit Menschen von einer Berufsgenossenschaft zertifiziert ist, sieht recht unspektakulär aus: Er besteht hauptsächlich aus einem Roboterarm mit mehreren Gelenken, der mit einer schwarzen Polsterung überzogen ist. Das Ganze erinnert ein bisschen an die Bügel eines Sessellifts, die den Menschen nach dem Start automatisch im Sitz fixieren. Mit dem großen Unterschied, dass dieser kollaborative Roboter ausgesprochen berührungsscheu ist: Nähert sich ihm ein Mensch, hält er sofort inne, noch bevor es zum direkten Kontakt kommt.

 

Das macht eine neue Qualität aus, betont Wolfgang Pomrehn, Projektleiter bei Bosch. „Andere Roboter stoppen erst, wenn sie den Menschen berührt haben.“ Diese Fähigkeit mache den Roboter, den Bosch hergestellt hat, weltweit einmalig – unabhängig von der Zertifizierung durch die Berufsgenossenschaft, die nicht in allen Ländern benötigt wird. Der Roboter arbeitet in der Vormontage von Verbrennungsmotoren eines großen Automobilzulieferers mit Menschen direkt zusammen. An diesem Tag hat er zu Demonstrationszwecken einen Ausflug nach Stuttgart-Vaihingen unternommen: Er ist der Ausgangspunkt eines gemeinsamen Projektes unter anderem des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), der Robert Bosch GmbH und der Integrationsfirma ISAK. Vision des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes namens AQUIAS ist unter anderem, Behinderte mit Hilfe individueller Roboterunterstützung besser in den Arbeitsprozess integrieren zu können.

Bisher waren Mensch und Roboter streng getrennt

Die Visionen vergangener Jahrzehnte von menschenleeren Produktionshallen haben sich als wenig realistisch erwiesen, unter anderem, weil Maschinen immer wieder ausfallen und weil Menschen für manche Tätigkeiten besser geeignet sind. So tüfteln Forscher nun weltweit an kollaborativen Robotern, die Menschen in der Arbeit ergänzen. Bisher mussten die Roboter streng von den Menschen getrennt arbeiten, da ein direkter Kontakt sehr gefährlich sein kann: Ein Roboter der alten Schule hat kein Gefühl, er verfolgt seine vorgegebene Aufgabe exakt nach Plan. Für ihn ist der Mensch mit seiner Unberechenbarkeit eine Größe, mit der er nicht klarkommt: Tritt ein Mensch in den Arbeitsbereich eines solchen Roboters, wird er umgerannt, umgehauen oder eingequetscht – was tödliche Folgen haben kann.

Die nächste Generation von Robotern wird deshalb mit Gefühlen ausgestattet, zumindest mit einem Gespür für ihre Umwelt. Viele dieser Hightechmaschinen nehmen es inzwischen wahr, wenn sie auf unerwarteten Widerstand stoßen, und stoppen ihre Bewegung. „Es hat sich aber gezeigt, dass Menschen nicht von Robotern berührt werden wollen“, sagt Pomrehn, „sie fühlen sich dann unsicher.“

Mehr als 200 Sensoren unter der schwarzen Haut

Der kollaborative Roboter von Bosch hat mehr als 200 Sensoren unter seiner schwarzen Haut und reagiert dank eines kapazitativen Feldes unter anderem auf organische Materialien, aus denen Menschen bestehen. Bei der Demonstration nimmt er sich Teile, die er mit einer Kamera erkennt, montiert sie vor und reicht sie dem Mitarbeiter weiter, der sie zusammenschraubt. Die Zusammenarbeit holt das Beste aus beiden Beteiligten, erklärt Pomrehn: „Monotone, sich wiederholende Tätigkeiten können Roboter besser, Menschen können besser mit Situationen umgehen, die nicht standardmäßig vorkommen.“

Aber auch die Roboter sollen sich in diesem Projekt an die Menschen anpassen und ein Stück weit mit nicht vorhersehbaren Situationen in der Zusammenarbeit klarkommen. Deshalb dient der Einsatz in der Integrationsfirma ISAK als gutes Trainingsgebiet: „Behinderte Menschen brauchen eine individuellere Zusammenarbeit“, sagt Pomrehn. In Zusammenarbeit mit Schwerbehinderten soll der Prototyp lernen, individuelle Einschränkungen wie Ermüdungserscheinungen zu erkennen und sich anzupassen: Er könnte dann beispielsweise spielerische Phasen in den Produktionsprozess integrieren. Weil jeder Mitarbeiter andere Bedürfnisse hat, soll sich das lernende System immer besser auf diesen einstellen: „Wir wollen auch, dass der Roboter erkennt, welcher Mitarbeiter sich ihm nähert und sich auf dessen Vorlieben und Einschränkungen einstellt“, sagt IAO-Projektleiter David Kremer.

Roboter passen sich an den Menschen an

In einer zweiten Projektphase sollen die kollaborativen Roboter dann wieder bei Bosch und den Kunden dieses Unternehmens eingesetzt werden. Schließlich können die Fähigkeiten, die sie in der Zusammenarbeit mit behinderten Menschen gelernt haben, auch global hilfreich sein. Die Roboter können ergonomisch ungünstige Arbeiten übernehmen und damit auch dazu beitragen, dass ältere Mitarbeiter länger aktiv sein können. Sie können sich an Eigenheit von Menschen anpassen.

Wann wird diese neue Technologie Alltag sein? Die Projektbeteiligten tun sich schwer mit Prognosen. „Technisch sind wir jetzt an der Schwelle, dass das möglich ist“, sagt IAO-Chef Wilhelm Bauer. „Aber eine Durchdringung hängt von weiteren Faktoren ab, beispielsweise von Investitionen.“ Es sei allerdings keine Frage, dass die Mensch-Roboter-Kooperation komme, allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Schließlich sinken die Stückzahlen in der Produktion: „Mensch-Roboter-Kollaboration verbindet Anforderung mit Flexibilität“, so Bauer. „Und wenn die Babyboomer in Rente gehen, haben wir Probleme, genügend qualifizierte Fachkräfte zu finden.“

Wie praxistauglich sind diese Roboter?

Bis dahin sind auch ethische Fragen und Anforderungen des Datenschutzes zu klären. Wenn ein Roboter Menschen am Gesicht erkennen kann, könnte das zu Bedenken in der Bevölkerung führen, sagt Bauer: „Wir haben viel zu diskutieren: Was davon ist gesellschaftlich erwünscht?“ Für solche Fragen sind unter anderem die Gewerkschaft IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall als sogenannte Transferpartner am Projekt beteiligt. Für Julian Welz von der IG Metall geht es auch darum, „monotone und belastende Arbeitsbedingungen durch den Einsatz von Assistenzsystemen zu reduzieren“.

Inwiefern sich solche Systeme tatsächlich als praxistauglich erweisen, stellt Jürgen Dörich von Südwestmetall in Frage. Schließlicht ist die Teilautomatisierung teuer: zwei- bis dreimal mehr kostet der demonstrierte Arbeitsplatz mit einem kollaborativen Roboter im Vergleich zu einer vollautomatischen Lösung, berichtet Wolfgang Pomrehn. Wird er zusätzlich mit den angekündigten Funktionen der Mitarbeiter-Erkennung und -Anpassung ausgestattet, koste ein solcher Arbeitsplatz deutlich mehr als 100 000 Euro, so Dörich: „Das kann sich ein mittelständisches Unternehmen nicht unbedingt leisten.“

Hinzu kommt, dass Roboter immer mal wieder ausfallen: „Solche Systeme haben eine Verfügbarkeit von 80 Prozent, der Mensch ist zu 100 Prozent verfügbar“, meint Dörich. Kranke Mitarbeiter könne man ersetzen, kaputte Roboter verzögerten die Produktion. „Gerade bei den Just-in-time-Zyklen der Serienfertigung ist das heikel.“ In Japan hätten Autohersteller deshalb Roboter aus der klassischen Montage herausgenommen. Daher müsse der Mensch aus seiner Sicht auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen: „Aber die Tätigkeiten werden sich radikal verändern.“

Integration auf dem Arbeitsmarkt

Unternehmen
Integrationsunternehmen sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig und wollen dabei dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich sein. Ihre Besonderheit: auf einem erheblichen Teil der zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze beschäftigen sie Menschen mit Behinderung.

Herausforderungen
Deutsche Integrationsfirmen sehen sich seit vielen Jahren vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Auch für die im Projekt „AQUIAS“ beteiligte Integrationsfirma ISAK ist die Erhöhung der Wertschöpfung eine Überlebensstrategie, die mit Hilfe von Teilautomatisierung erreicht werden soll. Außerdem will man so den Mitarbeitern attraktive Aufgaben in der Zusammenarbeit mit Robotern anbieten. Durch die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit will ISAK nicht zuletzt die Arbeitsplätze der schwerbehinderten Produktionsmitarbeiter sichern.