In der Poststraße arbeitet ein internationales Team an Fahrsystemen, die keinen Fahrer brauchen.

Leonberg - Vor genau vier Jahren hatte Thomas Irawan in einem Interview gesagt, dass er mindestens zehn Jahre später wieder in Deutschland sein werde. Damals leitete der promovierte Physiker und Informatiker ein Bosch-Werk in Chonburi bei Bangkok. Ein klassischer Produktionsstandort für den asiatischen Markt.

 

Und bereits im Januar 2015 ahnte der gebürtige Niederrheiner, dass bei einer Rückkehr nach Deutschland seine berufliche Zukunft nicht mehr in der Produktion liegen wird. Irawan sprach seinerzeit vom „Internet der Dinge“: der digitalen Vernetzung verschiedener Gebrauchgegenstände.

Hauptquartier für das automatisierte Fahren

Genau diesen Begriff verwendet er vier Jahre später bei einem Vortrag in Leonberg. Hier hat er seine neue berufliche Heimstatt gefunden. Ein Ort, an dem Zukunft gemacht wird. Denn die hiesige Bosch-Niederlassung ist das Hauptquartier für alle Entwicklungen im Bereich des automatisierten Fahrens. Der Leonberger Zentrale zugeordnet sind Standorte in den USA, Mexiko, China, Japan, Korea, Indien, Australien, Ungarn und Rumänien.

Kein Wunder, dass der Chef viel in der Welt hin- und herjettet. Und da ist es sehr hilfreich, so berichtet Irawan gut 350 Menschen in der Stadthalle beim Neujahrsempfang der Freien Wähler, wenn man sich auf der Fahrt vom Flughafen nicht um den nervigen Verkehr und die lästige Parkplatzsuche kümmern muss.

„Autofahrten kann man viel besser nutzen“, meint der heute 40-Jährige. „Zum Beispiel zum Lesen, Arbeiten oder Schlafen. In Thailand hatte ich einen Chauffeur. Da habe ich das zu schätzen gelernt.“

Auto ohne Lenkrad

Doch nicht zuletzt wegen der Kreativität seiner Mitarbeiter braucht es in absehbarer Zeit selbst keinen Chauffeur mehr, um die Zeit im Auto fernab des Lenkrads zu verbringen. Denn das wird es irgendwann nicht mehr geben. Die Wagen sind vollkommen allein unterwegs. Die Insassen haben nichts mit dem Fahren zu tun. Genau daran wird in der Poststraße gearbeitet.

Das Robotaxi ohne Lenkrad ist die Endstufe eines rasanten Prozesses, der in vollem Gange ist und an dem weltweit 5000 Tüftler arbeiten. Fast die Hälfte davon in Leonberg, Tendenz steigend.

Schon jetzt, so berichtet Thomas Irawan seinen staunenden Zuhörern bei den Freien Wählern, gehört die Vernetzung, das „Internet der Dinge“, bei vielen Menschen zum Alltag. Der Rasenmäher wird über das Handy gesteuert. Und wenn der Kuchen im Backofen fertig ist, erfährt das die Hausfrau ebenfalls über ihr Smartphone. Bis zum Jahr 2030, so sagt der Chef von Bosch in Leonberg, werden weltweit 50 Milliarden Dinge vernetzt sein.

Die Ingenieure arbeiten an einer ständigen Weiterentwicklung der Assistenzsysteme. Staupiloten kümmern sich darum, dass die Fahrt möglichst zügig vorangeht. Autobahnpiloten übernehmen das Kommando auf den Schnellstraßen. Nicht um die Fahrer zu entmündigen, wie Irawan betont, sondern um die Sicherheit zu erhöhen.

1,3 Millionen Verkehrstote

Denn noch immer sind jährlich rund 1,3 Millionen Verkehrstote weltweit zu beklagen. Fast 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen.

Dass Technik hilft, zeigt die Entwicklung in Deutschland: Waren vor 30 Jahren hier noch 13 000 Verkehrstote zu verzeichnen, so zeigt die Kurve jetzt in Richtung 3000. Dazu tragen elektronische Stabilitätsprogramme oder die automatische Notbremse bei, die in Leonberg entwickelt wurde. Mittlerweile arbeiten die Techniker an „sehenden Autos“, wie Irawan es nennt. „Sie verhalten sich wie ein Mensch: Sie erkennen die Verkehrslage, wägen sie ab und denken vor, was passieren könnte.“ Nicht allen in der Stadthalle ist wohl bei dieser Vorstellung.

Doch die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Im Stuttgarter Mercedes-Museum ist zu beobachten, wie sich Autos im Parkhaus ihren Stellplatz selbstständig suchen und per Knopfdruck wieder vorfahren, wenn der Mensch sie braucht.

Bosch wird erweitern

Ein internationales Team ist im Dreieck zwischen Poststraße und Römerstraße aktiv, um das Fahren ohne Fahrer marktreif zu machen. Thomas Irawan mag dieses internationale Flair. Sein Vater ist Chinese und in Indonesien aufgewachsen: „Viele Kulturen bringen viele Impulse“, sagt er.

Damit das so bleibt, wird sich Bosch stark erweitern. Der Konzern hat das Gelände von Möbel-Hofmeister und dem Felgen-Lackierer Fuchs erworben. „Hier werden wir einen neuen Stadtteil entwickeln, einen hochmodernen Technologiecampus.“ Dabei würden die Erfahrungen aus anderen Standorten mit einfließen. „Wir haben dann das best of best. Sogar besser als das Forschungszentrum in Renningen.“