Thomas Kotzur hat Mukoviszidose – und ist Extremsportler. Nur ein scheinbarer Widerspruch. Der 37-Jährige will anderen Kranken ein Beispiel geben und Vorbild sein.

Ditzingen/Schorndorf – Ich mach’ mal schnell noch die Rote!“ Also das Seil in die Schleife des Sitz- und Bauchgurts eingefädelt und den Knoten gebunden, der Partner am Boden zieht sein Ende durch den Sicherungsautomaten. Viele kleine farbige Kunststoffteile an der senkrechten Kletterwand laden zum Besteigen ein. Dann geht’s los. Thomas Kotzurs Finger der linken und rechten Hand finden schnell die Griffe über dem Kopf, die Füße tasten nach den Tritten. Der 36-Jährige drückt die Knie durch, stemmt und zieht sich 40 oder 50 Zentimeter nach oben. Wieder sucht die rechte Hand einen Griff. So geht das Meter für Meter – und immer den Körper im Gleichgewicht und die Füße auf festem Stand halten. Denn das Fallen ins Seil ist unangenehm.

 

Nach wenigen Minuten hat Thomas Kotzur die Oberkante der zwölf Meter hohen Kletterwand erreicht. „Zug!“ ruft er. „Zug!“ kommt die Antwort von unten. Jetzt ist der Kletterer gesichert. Er schnauft kurz durch. Dann gibt der Sicherer Seil, Kotzur schwebt, im Gurt sitzend, nach unten. Das war nur eine kleine Übung. Kotzur lacht. Und redet dann, den Gurt noch um den Bauch, über seine Krankheit Mukoviszidose, über das tägliche Inhalieren und die letzte Antibiotika-Therapie wie andere über ihre letzte Kraxeltour. Dabei weiß mancher Kletterkamerad gar nicht genau, was sein Kumpel hat.

Thomas Kotzur war schon ganz unten

Donnerstagabend, in der „Kletterbox“ des Alpenvereins im Schorndorfer Schulzentrum Grauhalde. Immer mehr Sportler kommen zum Training, jeder hat Zeug dabei: Gurt, Sicherung, Seil, Hose, Spezialschuhe. Neben der Theke zwei Bänke, zum Verschnaufen und Reden. Die Karabiner klappern. Jeder will nach oben.

Thomas war schon ganz unten. Er ist erst seit drei Jahren im Alpenverein dabei. Er wollte in die Berge – und das trotz Höhenangst. „Das kann man wegtrainieren“, meint der 36-Jährige, „ich hab’ mich dazu gezwungen.“ Auch hier. Er musste sich noch zu mehr zwingen in seinem Leben: Seine Eltern erfuhren am Tag seiner Geburt, im Januar 1980, von seiner Krankheit. Ihr zweiter Sohn hat auch Mukoviszidose.

Als Thomas zwölf war, starb sein Bruder. Mit 15. „Das ging ganz schnell, an einem Wochenende. Lungenentzündung. Kein Antibiotikum hat angeschlagen, kein Cortison.“ Das hat den kranken Jungen fertig gemacht. Heute kann Thomas Kotzur mit dem Thema umgehen. Er berichtet vom Leben mit der Krankheit, vom Gebrauch des Geräts, das den Bronchialbereich vibrieren lässt, um Schleim abhusten zu können, von der Krankengymnastik („eine höllische Stunde pro Woche“), von Schulzeit und Lehre als Fachinformatiker, von bösen Sticheleien in früheren Jahren, von seiner jetzigen Tätigkeit bei einer Stuttgarter Softwarefirma und der Unterstützung dort. Alle fördern den Lebenslauf und ihren Kollegen – und kommen mit einer Mannschaft.

Laufen trainiert die Ausdauer

So relativ gut, wie es ihm im Augenblick geht, ging es Thomas Kotzur nicht immer. Deshalb kniet er sich seit einiger Zeit in den Sport rein – nicht nur beim Klettern („das Strecken nach dem nächsten Griff öffnet und dehnt den Brustkorb“). Er läuft auch, nicht nur beim Lebenslauf. „Das ist Mittel zum Zweck, trainiert die Ausdauer.“ Mit wenigen Kilometern hat er begonnen, es wurden zehn, dann ein Halbmarathon mit 21, das Ziel sind 30 Kilometer. Vor vielen Jahren war er auf einem Dreitausender in der Schweiz, diesen Sommer soll es der Piz Bernina werden: 4049 Meter, eine Drei- bis Viertagestour. „Da braucht’s ein bissle Kondition“, meint der 37-Jährige lachend.

Er gehe sehr bewusst mit seiner Zeit um, sagt Thomas Kotzur. „Wir mit dieser Krankheit leben sehr viel intensiver.“ Er weiß sehr genau, dass er weniger Jahre vor sich hat als andere, als gesunde Menschen. Viele Muko-Patienten sterben Mitte 20, andere werden schon 40 oder 50. Er sei seiner Frau sehr dankbar, dass sie sich auf ein Leben mit ihm eingelassen habe. „Ich habe ganz großen Respekt vor ihr.“ Denn es gehe ihm nicht immer gut, immer wieder müsse er zwei Wochen lang eine Therapie mit Dauerinfusionen eines Antibiotikums machen. „Aber wenn mir’s gut geht, mache ich meinen Sport.“ Neben dem Piz Bernina in der Schweiz peilt er noch eine 600-Höhenmeter-Klettertour in Südtirol an. „Zum Klettern braucht’s mentale Stärke.“

Die Suche nach dem nächsten Griff zum Festhalten – das ist fast schon das Lebensmotto des Mukoviszidose-Patienten Thomas Kotzur aus Plüderhausen bei Schorndorf. Er will nicht aufgeben, sich nicht hängen lassen. Er will anderen ein Beispiel geben, um nicht zu sagen ein Vorbild sein. Und er hält damit nicht hinterm Berg.

Dann geht’s wieder an die Wand. Jetzt die gelbe Route, die Kameradin Friederike sichert. Bis zum Überhang geht’s flott. Dann stockt es. „Komm, hoch“, ruft die junge Frau. „Kann nichts passieren, ich hab’ dich!“ Thomas’ rechte Hand sucht nach dem nächsten Griff. Er hat ihn.

Zahlen und Fakten zu Mukoviszidose und dem Lebenslauf

Die Krankheit
Mukoviszidose, auch Zystische Fibrose (CF) genannt, ist eine unheilbare und vererbbare Stoffwechselerkrankung. Dabei werden lebenswichtige Organe wie Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm beständig durch zähen Schleim verstopft. Patienten müssen durch tägliche Therapie das Sekret entfernen. Bundesweit sind mehr als 8000 Personen betroffen, landesweit sind es rund 850. Ihre Lebenserwartung ist gegenüber der von gesunden Menschen sehr stark verkürzt.

Der Lebenslauf
Der Ditzinger Lebenslauf findet statt in der Glemsaue am Sonntag, 24. April, von 8 bis 16 Uhr. Veranstalter ist der Verein Mukoviszidose – Landesverband Baden-Württemberg. Die Teilnehmer können auf der Strecke (3,5 oder 2 Kilometer) ohne Zeitwertung so weit laufen, wie sie wollen. Teilnehmer suchen sich einen oder mehrere Sponsoren, die eine Spende für den Muko-Verein geben – viele Lebenslauf-Mitläufer erhalten auf diese Weise vier bis fünf Euro pro Kilometer.

Der Spendenzweck
Der Muko-Verein finanziert mit dem Erlös des Lebenslaufs und anderen Spenden Hilfsmaßnahmen für Mukoviszidose-Kranke, von der Physiotherapie bis zu Arztstellen in Spezialambulanzen. Auch die wissenschaftliche Forschung zur Krankheit wird unterstützt.

Teilnahme
Einzelläufer können nach Belieben kommen, Gruppen müssen sich anmelden bis zum 18. April.

Mehr Informationen unter www.ditzinger-lebenslauf.de.