Laura Siegemund aus Stuttgart spielt groß auf im deutschen Tennis. Sie siegt und siegt – und hat zwei Jahrzehnte mit allerlei Höhen und Tiefen hinter sich.

In allen Höhen und Tiefen ihres wechselvollen Tennislebens hat Laura Siegemund eigentlich immer einem klaren Motto vertraut: „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.“ Doch als am ersten Australian-Open-Montag 2024 die Lage etwas prekär geworden war für die Altmeisterin, eine bittere Erstrunden-Niederlage im heißen Melbourne gegen die Russin Ekaterina Alexandrowa in Reichweite rückte, da war die wackere Schwäbin für etwas moralische Unterstützung sehr dankbar. „Laura, du schaffst das“, habe ihr ein kleines Kind von der Tribüne aus immer wieder zugerufen, erinnerte sich Siegemund sichtlich gerührt. „Und das hat mir echt geholfen. Mir kommen die Tränen, wenn ich jetzt daran denke.“

 

Als nach drei Stunden und drei Minuten in drückender Hitze letztlich abgerechnet war auf Platz drei im National Tennis Center, da war Siegemund, was sie bisher immer in dieser jungen Saison war: die stolze Siegerin (6:2, 3:6, 7:6), die Hauptdarstellerin eines der ersten großen Grand-Slam-Coups – mit einem 11:9-Thrillererfolg im Match-Tiebreak gegen die an Nummer 17 gesetzte Rivalin. „Im Moment spiele ich wahrscheinlich das beste Tennis meines Lebens“, sagte die 35-jährige Veteranin. Nach drei Mixed-Siegen beim United-Cup, jeweils zwei Einzel- und Doppel-Erfolgen beim WTA-Wettbewerb in Adelaide vor dem Rückzug aus Verletzungsgründen untermauerte Siegemund auch auf der ganz großen Bühne in Melbourne ihren Status als „Frau der Stunde“ im deutschen Tennis – Kerber-Comeback hin oder her.

In der Hitparade der beliebtesten Spielerinnen im Tourgeschäft würde man Siegemund nicht weit vorne finden, schließlich gilt die gebürtige Filderstädterin als Akteurin, die das Regelwerk bis zur absoluten Schmerzgrenze ausreizt. Siegemund verweigert sich auch dem leidigen Kuschelkurs im Frauentennis der Gewerkschaft WTA, bei dem sich ständig alle gern haben müssen – und in dem oft genug zu kurz kommt, dass hier um große Träume, große Ziele und großes Geld hart gekämpft wird. „Ich muss nicht von jedem geliebt werden“, sagt Siegemund, die sich als ausgebildete Psychologin auch nebenberufsmäßig mit den Herausforderungen des Jobs beschäftigt.

Versagen unter Druck

In ihrer Bachelorarbeit beackerte sie das Thema „Versagen unter Druck“, kürzlich veröffentlichte sie zudem mit Co-Autor Professor Stefan Brunner das Buch „Wild Card – Herausforderungen mental meistern“. Sie hatte dazu einiges aus eigenem Erleben zu sagen, allein schon über den außerordentlich langen Marsch durch die Tenniswelt, der mit einem Sieg als Teenager beim Orange Bowl in Florida (Jugend-WM) vor mehr als zwei Jahrzehnten begann. Mehr Probleme als Pokale folgten diesem frühen Coup, Siegemund hörte zwischenzeitlich sogar frustriert auf, erlebte aber auch einen zweiten und dritten Frühling als Berufsspielerin. Was sich junge Spielerinnen von Siegemund abschauen könnten, seien das kompromisslose Arbeitsethos und die Einstellung, „nie, nie, nie aufzugeben“, sagt DTB-Frauenchefin Barbara Rittner, „sie zeigt auf, was man alles tun muss, um erfolgreich zu sein“.

Siegemund glänzt zwar vornehmlich als Doppel-Kraft, steht aber eben auch in der Einzel-Weltrangliste unter den Top 100 (aktuell: Platz 78). Bei vielen Turnieren nimmt sie klaglos die Zweifach- oder Dreifachbelastung (plus Mixed bei Grand-Slam-Veranstaltungen) auf sich, auch in dieser Hinsicht trifft die Bezeichnung „Laura Überall“ zu, die einst Boris Becker für die Schwäbin prägte. Gemeint war allerdings vom deutschen Tennis-Kanzler etwas anderes, nämlich Siegemunds Match-Härte, ihr vorbildliches Stellungsspiel, ihre Netzabdeckung, ihre Wachheit und Sinnesschärfe in den Centre-Court-Duellen. Und auch die Qualität, alles, wirklich alles gegen die Gegnerinnen einzusetzen, alles Erlaubte, aber auch manches Zweifelhafte. Mätzchen, Tricks und Kniffe, die in keinem Lehrbuch stehen.

Keine Sympathiepreise

Dass sie in den sozialen Medien damit gern mal zur Hassfigur wird, sich als „Hexe“ oder „das Böse“ wiederfindet, läßt die Frau, die in Stuttgart lebt, kalt. Sympathiepreise können gern andere gewinnen. Siegemund erfreut sich eher mal an Komplimenten von berufener Seite, wie zuletzt beim deutschen United-Cup-Gewinn von Alexander Zverev. Der Olympiasieger kommentierte den Auftritt seiner Mitstreiterin schwärmerisch als „große Show“, bei der er beruhigt von der „Rückbank“ habe zusehen können.

Eindrucksvolle Wochen und Monate hat Laura Siegemund hinter sich, gemeinsam mit der Russin Vera Zvonerewa erreichte sie das US-Open-Doppel-Finale. Zum Saisonabschluss 2023 grüßten die beiden dann als WTA-Weltmeisterinnen im mexikanischen Cancún. Das neue Jahr könnte Siegemund einen noch denkwürdigeren Moment bescheren, denn an der Seite ihrer neuen Mitstreiterin Barbora Krejcikova (Tschechien) wird ihr durchaus zugetraut, als erste Deutsche Platz eins der Doppel-Weltrangliste zu erklimmen. Von Platz fünf zum Gipfel ist es nicht mehr weit für „Laura Überall“.