Als große Favoritin ins Finale gegangen, am Ende doch nur Silber. Tennis-Ass Angelique Kerber kann ihre Enttäuschung über die Niederlage gegen Monica Puig kaum verbergen.

Rio de Janeiro - Wie emotional es ist, Olympiasiegerin zu werden, kann ein Außenstehender nur erahnen. Oder hören. Zumindest im Fall von Mónica Puig (22). Kurz vor dem Auftritt der goldigen Tennisspielerin aus Puerto Rico bei der Pressekonferenz ist plötzlich ein lauter, langer, inbrünstiger Schrei zu hören. Es folgen vier gebrüllte Worte: „Yes, I did it!“ Ja, sie hat es tatsächlich geschafft. Das weiß nun auch ihre Mutter, mit der Puig gerade telefoniert: „I love you, Mom!“

 

In der Gefühlswelt von Angelique Kerber (28) geht es an diesem frischen Abend in Rio de Janeiro etwas kontrollierter zu. Kälter. Nach der 4:6, 6:4, 1:6-Niederlage hat sie ihrer Konkurrentin mit eisiger Miene gratuliert und keine Geste der Anerkennung gezeigt, und auch später im Gespräch mit den Journalisten ist die Stimmung frostig. Obwohl Kerber das Gegenteil erzählt: Ihre Körpersprache sagt aus, was sie gerade denkt. Sie hat in Gold verloren. Nicht Silber gewonnen. Auch, weil sie im Spiel blockiert war.

Durch Rückenverletzung beeinträchtigt

Schon im ersten Satz hatte ein Muskel im unteren Rückenbereich zugemacht, zweimal ließ Kerber sich in den Katakomben behandeln. Es spricht für sie, dass sie das Malheur nicht als Entschuldigung für die Niederlage nutzte, beeinträchtigt aber war sie auf jeden Fall. „Ich habe etwas gespürt, und ich habe trotzdem mein Herz auf dem Platz gelassen“, sagte Kerber später am Abend bei einem Empfang im Deutschen Haus am Strand von Barra, „aber Mónica Puig hat das Spiel ihres Lebens gespielt, die beste Woche ihrer Karriere hinter sich. Kompliment! Silber ist definitiv nicht die Medaille, die ich haben wollte. Dennoch bin ich stolz!“ Und froh, dass das Tennisleben mehr zu bieten hat als Olympische Spiele.

Während Ruderer, Kanuten, Ringer oder Judoka in Vier-Jahres-Zyklen denken und alles tun, um bei Olympia einen Moment für die Ewigkeit zu erleben, gibt es im Tennis Meriten und Moneten im Wochenrhythmus zu verdienen. Keine spürt das in diesem Jahr intensiver als Angelique Kerber. Emotional. Und auf dem Bankkonto. Erst feierte sie ihren ersten Grand-Slam-Titel in Australien, dann zog sie in das Finale von Wimbledon und in das Olympia-Endspiel ein. Sie spielt das mit Abstand beste Jahr ihrer Karriere – und es ist noch lange nicht vorbei.

Kerber kann bald die Nummer eins werden

Direkt aus Rio ist Kerber am Sonntag nach Cincinatti/USA gereist. Dort könnte sie schaffen, was zuletzt Steffi Graf vor 19 Jahren erlebte – die Nummer eins zu sein. Gewinnt die Kielerin das Turnier, löst sie Serena Williams, sollte diese nicht in das Viertelfinale kommen, an der Spitze der Weltrangliste ab. Die US-Amerikanerin würde das richtig schmerzen, steht sie doch davor einen Rekord zu knacken, der als einer für die Ewigkeit galt.

Williams ist aktuell seit 183 Wochen ununterbrochen die Branchenbeste, zur Marke von Steffi Graf fehlen ihr nur noch drei Wochen. Deshalb hat sie nach dem überraschenden Achtelfinalaus in Rio eine Wildcard für Cincinatti beantragt. „Ich weiß nicht, ob sie Angst hat“, sagte Kerber, während sie im Deutschen Haus einen Caipirinha genoss, „aber ein bisschen Angst – warum nicht?“

Kerber würde es gefallen, als Nummer eins zu den US Open nach New York zu fliegen, und der Gedanke daran trug auch dazu bei, sich mit Olympia-Silber mehr und mehr anzufreunden. Weil es ihr durchaus gefallen hat, Teil der Ringe-Familie zu sein, sie erneut ein gutes Turnier spielte und so eine Medaille dann doch einen bleibenden Wert darstellt: „Ich muss sie nie wieder hergeben.“ Das klang schon etwas versöhnlicher, die großen Emotionen erlebte an diesem Abend aber eine andere.

Puig hat erst ein WTA-Turnier gewonnen, nun holte sie das erste Olympia-Gold für Puerto Rico, und obwohl sie in einer Tennisakademie in Miami groß geworden ist, erklärte sie: „Was für ein wunderbarer Moment für mich und mein Land. Puerto Rico ist mein Lieblingsplatz. Diese Insel gibt mir so viel Liebe und Hoffnung.“ Dann schaute sie auf ihr Smartphone, lächelte und verabschiedete sich. „Ich habe so viele Nachrichten bekommen, dass es die ganze Nacht dauern wird, sie zu beantworten.“ Und auch ihre Mutter wartete. Auf den nächsten Anruf ihrer goldigen Tochter.