Der Rasenspezialist aus Hamburg fordert auf dem Stuttgarter Weissenhof Roger Federer heraus. Der Superstar hat nach 80 Tagen Wettkampfpause Respekt, die Veranstalter fürchten, dass ihnen erneut die große Attraktion verloren gehen könnte.

Stuttgart - Der grau melierte Moderator des Schweizer Fernsehens zeigt sich hocherfreut. „Tolles Interview“, sagt er, als sein Gespräch mit Mischa Zverev beendet und die Kamera wieder aus ist. Er hat von Zverev genau das gehört, was er hören wollte: Dass Roger Federer ein großartiger Tennisspieler sei, dass es sehr schwer werde, gegen ihn zu gewinnen, dass er trotzdem alles geben wolle. „Klasse gemacht“, so entlässt der Moderator seinen Gesprächspartner und reckt den Daumen nach oben: „Sie haben es verdient, ein gutes Spiel zu machen.“

 

Allerdings werden sich an diesem Mittwoch (15 Uhr/Sky Sport News HD) nicht nur bei dem Fernsehmann aus der Schweiz die Sympathien in Grenzen halten, wenn Mischa Zverev den Superstar Roger Federer herausfordert. Der 30 Jahre alte Hamburger mag ein freundlicher, zugänglicher Mann sein, ein hervorragender Tennisspieler, als Deutscher zählt er auf dem Weissenhof zudem zu den Lokalmatadoren. Trotzdem würde neben ihm selbst allein sein direktes Umfeld jubeln, sollte Zverev mit einem Sieg gegen Federer für den nächsten GAU beim Mercedes-Cup sorgen.

2017 war Tommy Haas der Stimmungskiller

Im vergangenen Jahr war Tommy Haas der große Stimmungskiller. Auf der Zielgeraden seiner Karriere kämpfte er nach verlorenem ersten Satz plötzlich noch einmal wie um sein Leben, wehrte einen Matchball ab und warf Federer bereits in dessen Auftaktspiel aus dem Turnier. Mit versteinerter Miene musste Edwin Weindorfer, Turnierdirektor des Mercedes-Cups und gleichzeitig Manager von Haas, mitansehen, wie sein Schützling das Rasenturnier auf dem Killesberg frühzeitig um die große Attraktion brachte.

Inständig hofft der Veranstalter, dass dem Mercedes-Cup ein solches Schreckensszenario diesmal erspart bleibt. Doch weiß er genau: Es hätte für Federer zum Auftakt schwerer kaum kommen können. Denn Mischa Zverev, Weissenhof-Halbfinalist des Vorjahres, ist ein brandgefährlicher Gegner, vor allem auf Rasen.

Der große Bruder des Weltranglistendritten Alexander Zverev (21), der auch dieses Jahr einen großen Bogen um Stuttgart macht, ist einer der letzten Serve-and-Volley-Spieler auf der Tour. Die Rasenplätze mögen langsamer geworden sein, die Bälle weicher, die Returns besser – Mischa Zverev, 1,91 Meter groß und 88 Kilogramm schwer, läuft trotzdem noch nach fast jedem Aufschlag nach vorne wie die Volleyspezialisten in den seligen Boris-Becker-Zeiten. Damals gab es auf Rasen kein anderes Erfolgsrezept als Angriffstennis – heute ist Zverev mit seiner Marschroute ein Exot.

Mischa Zverev liegt auf Weltranglistenplatz 54

Bis auf Weltranglistenplatz 25 ist er im vergangenen Jahr geklettert, als er sich bei den US Open bis ins das Achtelfinale spielte. Derzeit liegt Zverev auf Rang 54, Tendenz steigend. Bei den French Open, auf dem ungeliebten Sand, erreichte er zuletzt erstmals die dritte Runde. Jetzt freut er sich auf die Rasensaison, die Turniere in Stuttgart, Halle und Wimbledon. „Das sind für mich die schönsten Wochen des Jahres.“

Bereits am vergangenen Donnerstag kam Zverev nach Stuttgart, um auf Rasen zu trainieren; am Montag gewann er sein Auftaktmatch gegen den Russen Michail Juschny 7:6 (7:5), 6:3. Federer hingegen stand erst am Sonntag erstmals auf dem Platz und bestreitet nun sein erstes Spiel nach 80 Tagen Wettkampfpause. „Das ist für mich ein Kaltstart und eine happige Aufgabe“, sagt er, „ der Mischa ist auf Rasen ein gefährlicher Gegner.“

Fünfmal standen sich beide bisher gegenüber, noch hat Federer keinen einzigen Satz abgegeben. 0:6, 0:6, so lautete 2013 in Halle das deprimierende Endergebnis aus Zverevs Sicht – im vergangenen Jahr zwang er den 20-maligen Grand-Slam-Sieger im Achtelfinale von Halle und der dritten Runde in Wimbledon immerhin zweimal in Tiebreaks. „Ich bin dabei, mich immer weiter anzunähern“, sagt Zverev und weiß, dass die Gelegenheit, gegen Federer nicht nur einen Satz, sondern vielleicht sogar das ganze Match zu gewinnen, nie wieder besser werden dürfte: „Im seinem ersten Spiel habe ich sicher mehr Chancen als im Halbfinale von Wimbledon.“

Zverevs sechster Anlauf zum Sieg

Sollte es auch im sechsten Anlauf nichts werden mit einem Sieg gegen die Legende, würde Zverev den Mercedes-Cup trotzdem als zufriedener Mann verlassen. „Wenn Roger rausgeht, sein bestes Tennis spielt und gewinnt, wäre es auch wunderbar – für die Zuschauer und die ganze Sportart. Je länger er gut spielt, desto besser ist es für das Tennis.“ Es sind Sätze, die der Fernsehmann aus der Schweiz seinem Publikum mit Hochgenuss servieren wird.