Im Theaterhaus ist Thaddäus Trolls hundertster Geburtstag gefeiert worden. Vieles im Werk des Schwaben wird noch diskutiert.

Stuttgart - Maren Kroymann schreitet von rechts nach links an der Rampe vorbei. Sie singt, aber ihre Stimme erreicht die Zuhörer nicht aus ihrem Mund, sondern auf dem Umweg über ein unvermeidliches Mikroport aus den Boxen am Rand der Bühne. Maren Kroymann singt „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“, jenes Lied aus Schuberts „Winterreise“, mit dem Filme, Theaterinszenierungen und Fernsehserien inflationär eine Stimmung der Unbehaustheit beschwören. Auf Thaddäus Troll bezogen, dem hier zu seinem hundertsten Geburtstag ein Fest bereitet worden ist, klingt das allerdings reichlich kokett. Kaum ein anderer Schriftsteller war so populär, so wenig fremd, so sehr in der Region daheim wie Thaddäus Troll. Davon zeugte das jubelnde Publikum im voll besetzten großen Saal des Theaterhauses, und auch der Suizid des an Depressionen Erkrankten mit 66 Jahren ändert nichts daran.

 

Die Stilisierung gehört zur Institution des Totengedenkens, selbst wenn es so heiter ausfällt wie hier in der Regie von Alfred Kirchner, dem Bindeglied zwischen Palitzsch und Peymann am Stuttgarter Staatstheater. 1977 hat er Trolls „Entaklemmer“ inszeniert, aus dem es am Schluss köstliche Proben gab. Auf der Bühne waren Kerzen verteilt, die keine Kerzen, sondern flackernde Glühbirnen sind, vorne stand ein Gugelhupf, sozusagen als schwäbische Geburtstagstorte, und an einem langen Tisch saßen die Vorleser des Abends: Franziska Walser, Martin Schwab, Peter Sattmann und eben Maren Kroymann sowie Alfred Kirchner. Sie lasen teils schwäbisch, teils hochdeutsch.

Putzigkeit und Humor

Nun verdankt sich Thaddäus Trolls Beliebtheit in erster Linie seinen Mundartveröffentlichungen. Angesehene Kollegen und Freunde, deren der langjährige Aktivist in diversen Schriftstellerorganisationen viele hatte, haben immer wieder versucht, Troll vom Verdacht des „Heimatschriftstellers“ zu befreien, dem Dialektautoren aus benennbaren historischen Gründen ausgesetzt sind. Aber es bedarf schon einer ordentlichen Portion Lokalpatriotismus, um Troll mit Tucholsky in einem Atem zu nennen.

Auch im Kontext der modernen Verwendung von Dialekten war Troll beileibe kein Pionier. Während etwa der Österreicher HC Artmann die Mundartdichtung in der Umgebung der Avantgarde verankerte, verharrt Troll, insbesondere in seinen Liebesgedichten, aber auch in launigen Erzählungen in der Tradition Johann Peter Hebels, im Rahmen einer Putzigkeit, die durch Humor abgefedert wird. Und dieser Humor ist fast schon behäbig, nicht aggressiv (oder, ins Positive gewendet: niemals verletzend) wie bei Tucholsky. Thaddäus Troll schöpft die verborgenen poetischen Qualitäten des schwäbischen Dialekts aus, etwa in „Was sich alles mit H sagen lässt“, wobei der Buchstabe H für die regionstypische Interjektion „ha!“ steht. Und in seinem „Schwäbischen Schimpfkalender“ dichtet die Literatur sich selbst.

Ein milder Kritiker

Troll, der sich als „extremen Liberalen“ bezeichnet hat, begleitete die SPD über Jahre hinweg als kritischer Sympathisant. Die SPD möge erkennen, „dass es keine Freiheit ohne Sozialismus gibt“, erklärt er 1977, wobei Sozialismus für ihn identisch ist mit den Forderungen der Bergpredigt.

Die Briefe, aus denen beim Theaterhausfest gelesen wurde, lassen einen meist milden, selten auch sarkastischen Kritiker von Missständen erkennen. So schreibt der frühere Stuttgarter „Spiegel“-Korrespondent 1963 an Rudolf Augstein, im „Spiegel“ stehe leider oft recht unnützes Zeug. Was würde er heute sagen? Aus einer Korrespondenz mit Theodor Heuss erfahren wir von den Problemen der Kontaktaufnahme im Vor-Handy-Zeitalter. Der Briefwechsel mit Helmut Schmidt wiederum belegt die Versöhnung von Geist und Macht. Das wäre Tucholsky nicht passiert.