The Tallis Scholars in der Stiftskirche Vokalkunst, die alles zum Leuchten bringt
Farbig und gestochen scharf: Das britische Vokalensemble The Tallis Scholars hat beim Musikfest Stuttgart in der Stiftskirche Motetten gesungen.
Farbig und gestochen scharf: Das britische Vokalensemble The Tallis Scholars hat beim Musikfest Stuttgart in der Stiftskirche Motetten gesungen.
A-cappella-Gesang, so schön und farbig und doch so glasklar und gestochen scharf. Musik, bei der man sofort kathedralische Weiten assoziiert – und so kunstvoll eben wie die aus unzähligen bunten Glasstücken zusammengesetzten Kirchenfenster, durch die an diesem Abend das letzte Sommerlicht in die Stuttgarter Stiftskirche schimmert.
The Tallis Scholars, sechs Frauen und vier Männer, waren zu Gast beim Musikfest der Bachakademie. Das weltberühmte Vokalensemble, das auf die Musik der englischen Renaissance spezialisiert ist, sang Motetten für 8 bis 10 Stimmen seines Namensgebers Thomas Tallis, von John Sheppard und vor allem William Byrd, dessen Sterbetag sich 2023 zum 400. Mal jährt.
Ja, alles leuchtet. In weichem, gleichmäßig getaktetem, behäbigem Strom fließen die Stimmen in imitatorischer Perfektion ineinander, makellos und ausbalanciert, bis da vom Krieg die Rede ist. Da schleichen sich Dissonanzen ein ins Schönklanggewebe, da senken sich die Stimmen klagend ab. Aber diese komponierten Misstöne bleiben singulär an diesem Abend. Das Publikum lauscht berauscht und gebannt großer Vokalkunst, in der die Stimmen sich beinahe in instrumentaler Neutralität zusammenfügen – diszipliniert, mimisch und körperlich extrem zurückgenommen. Auch die vier Sopranstimmen fügen sich rein, schön, hell, sanft in die Klangwolken ein. Der musikalische Leiter Peter Phillips braucht nur winzige Bewegungen, um alles in Form zu halten.
Schön ist diese Musik, aber in ihrer Gleichförmigkeit mag sie manchen bald langweilen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass sich alle Motetten klanglich sehr ähneln. Warum baut das Ensemble nicht den einen oder anderen Kontrast ein? Zum Beispiel etwas aus dem 20. Jahrhundert, was das Ensemble ja auch im Repertoire hat. Zudem schweben die Klangwolken in luftleerem Raum, denn auf eine inhaltliche Verortung der Musik in Form eines Programmhefts verzichtet die Bachakademie beim Musikfest ja schon seit Längerem. Aber welchen Krieg meinte Byrd, als er etwa den Psalm 120 vertonte, in dem es heißt: „Ich muss schon allzu lange wohnen / bei Leuten, die den Frieden hassen.“ Was bedeutete es für einen katholischen Komponisten wie ihn, wenn er im England des 16. Jahrhunderts, jener Zeit blutiger religiöser Umbrüche, Kirchenmusik komponierte? Fragen über Fragen, die einen beim Hören plagten.