„Hinterm Berg“ heißt das neue Stück der Theatergruppe am Robert-Bosch-Gymnasium. Es spielt Ende 1944 während der NS-Zeit in Gerlingen und Leonberg – und es ist nicht nur für die junge Generation schwere Kost.

Gerlingen - Weiße Bluse, blauer Rock, weiße Söckchen, Zöpfe – fesch sehen die Mädchen aus. Treten an, machen Meldung, turnen mit Keulen, marschieren zum Lied „Unsere Fahne flattert uns voran“. Die Arme schnellen nach oben. „Heil Hitler!“. Irmgard, die Siegerin des Wintersportfestes auf der Gerlinger Höhe, wird für ihren Sieg belobigt. Franz meldet sich freiwillig zur Luftwaffe, will für Volk und Vaterland kämpfen. Die Theater-AG des Gerlinger Robert-Bosch-Gymnasiums spielt in dieser Woche ihr neues Stück „Hinterm Berg“. Solche Szenen hat man schon im Kino gesehen. Aber live und mit Bezug zum eigenen Ort – das ist etwas anderes. Das zu spielen fällt nicht nur manchem Schüler schwer. Auch die Menschen im Publikum werden schlucken müssen.

 

Die Hälfte des Stücks spielt im KZ Leonberg

Seit einem Jahr haben die 13- bis 19-Jährigen an dieser Aufführung gearbeitet, haben Bücher gelesen und mit Menschen gesprochen, die den Krieg und die Zeit zuvor erlebt haben. Einer ihrer Gesprächspartner war der Franzose Albert Montal, damals in Charmes an der Mosel gefangen genommen und in Leonberg inhaftiert. „Es war eine Mega-Erfahrung“, erzählt die 18-jährige Jessica Eck. Sie hat schon in mehreren Stücken der AG mitgespielt, und sie hat jetzt nur eine kleine Rolle, um als Regie-Assistentin andere Theater-Aufgaben kennenzulernen. Sie entlastet, mit Hendrik Laicher (17) und dem Studenten Marius Tritschler (19), den Leiter der Theater-AG, Michael Volz. „Man sieht das alles in Filmen, liest’s in Büchern, hört’s in der Schule“, meint die Schülerin – aber zu spüren, wie gemeinsames Singen und Marschieren zusammenschweißt, das sei noch etwas anderes. Sie haben mit ihren Großeltern gesprochen, oder deren hinterlassene Notizen gelesen. Jessica erzählt von ihren zweieinhalb Jahren, die sie mit der Familie in Israel gelebt hat – und als Deutsche unter Beobachtung stand.

„Es ist schlimm, wie damals ein ganzes Volk aufgehört hat zu denken“, sagt Marius. Und Hendrik berichtet von den Besuchen in Freudental, in den Gedenkstätten in Vaihingen und in Berlin. Alle 30 sind sie während der Vorbereitung mehrmals nach Leonberg gewandert zur KZ-Gedenkstätte. Dorthin, wo im Engelbergtunnel Tausende Häftlinge Flugzeugteile bauen mussten. Die Hälfte aller zehn Szenen des Stücks spielt im Leonberger KZ. Dort werden aus Menschen gesichtslose Wesen, die auf dem Boden schlafen, die karge Portionen aus dem Blechnapf schlürfen, die zusammengeprügelt werden zum befohlenen Gesang eines Mithäftlings, denen man nach dem qualvollen Tod die Goldzähne ausbricht.

Die Theatergruppe will die Mauer des Schweigens einreißen

In Gerlingen übt derweil die Mädchenschar des BdM, sagen die Kinder in der Schule die Straßennamen mit den Größen der Zeit auf: „Hermann-Göring-Straße, Frau Braumüller!“. Im Wirtshaus Schwanen ist von „der Bonbonfabrik im Tunnel“ die Rede, der Pfarrer hält eine Brandrede gegen Hitler – und ihm wird prompt gedroht, er werde angezeigt. Die Sirene dröhnt laut – Fliegeralarm. Dann hocken sie im Stollen, draußen brennen Häuser, die Leute schlottern. Das Stück endet überraschend. Ob Irene und Franz sich wieder sehen – das steht in den Sternen.

Die Truppe der 30 um Michael Volz will mit ihrem Stück die Mauer des Schweigens einreißen – 70 Jahre danach. Marlene Tritschler spielt Irene. Sie meint nach der Probe: „Ich bin hin- und hergerissen. Ich will etwas vermitteln, lebe und fühle aber als Schauspielerin.“ Die Begeisterung, die die Jugendlichen damals zusammenschweißte, hat auch Hendrik Laicher beeindruckt. Der 17-Jährige wird zu Franz, dem Freiwilligen. „Es ist so eindrucksvoll, und auch so wichtig, dass man eines fühlt: dass es denen damals wohl Spaß gemacht hat.“ Bestes Beispiel: das Fahnenlied – „voll krass“. Ein Ohrwurm, „den wir nach der Probe auf der Straße vor uns hingepfiffen haben“. Das Gegenteil seien die Gespräche mit den 16 Zeitzeugen gewesen, deren Berichte ins Stück einflossen – keine leichte Kost. Albert Montal zu Ehren wird „Hinterm Berg“ auch in dessen Heimat Charmes gespielt, auf französisch. Zuvor aber sind alle auf eines gespannt: Wie das Stück in Gerlingen aufgenommen wird. Nach den Aufführungen gibt es Diskussionsrunden im Saal.