Als Schüler hat Thomas Laske bei den Stuttgarter Hymnus-Knaben gesungen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt er zu seinem früheren Chor zurück – als Baritonsolist beim Weihnachtsoratorium im Beethovensaal. „Bach wird einem nie über“, sagt der 48-Jährige.

Stuttgart - Es hätte alles auch ganz anders kommen können. Als Thomas Laske die Grundschule in Stuttgart-Kaltental besuchte, hätte er der Einladung eines Klassenkameraden zu einem Chor nicht folgen müssen, den er nur dem Hörensagen nach kannte. Er hätte das Singen, die Stimmbildung im Hymnus-Knabenchor nicht genießen müssen. Später hätte er studieren können, wovon er lange träumte: Medizin. Dann wäre er nicht nach Düsseldorf gekommen, dann hätte er dort nicht das Studium der Ton- und Bildtechnik aufgenommen, weil er eben auch technisch-mathematisch „sehr interessiert war“. Dann hätte es ihn bei einem seiner Pflichtpraktika nicht nach Wien verschlagen. Dann hätte er in der Wiener Staatsoper nicht eine „Tosca“-Vorstellung mit Sherill Milnes als Scarpia gehört. Und dann wäre er nicht jetzt wieder einmal nach Stuttgart zurückgekehrt, um als Solist mit dem Chor seiner Kindheit und Jugend aufzutreten.

 

Offenbar hat es aber so kommen sollen, wie es schließlich doch gekommen ist. Schon als er bei der Toningenieur-Aufnahmeprüfung vorsang, wollten die Professoren Thomas Laske überreden, ganz zum Gesang zu wechseln. Damals lehnte er noch ab: „Ich war mir nicht sicher, ob meine Stimme wirklich gut genug ist für Studium und Beruf.“ Nach dem Erlebnis der Wiener „Tosca“ indes gab er den inneren Widerstand auf, brachte sein erstes Studium zwar zu Ende, studierte parallel aber auch Gesang, war Mitglied im Düsseldorfer Opernstudio – und wo er auch immer hinkam, öffneten sich vor ihm die Türen. „Ich habe mich um sehr wenig bemüht, habe auch nie einem Konzertveranstalter vorgesungen“, sagt der Bariton. Die Studenten heute hätten es da viel schwerer, das weiß er gut, schließlich ist er selbst mittlerweile Lehrbeauftragter an der Düsseldorfer Musikhochschule. Zwei Tage in der Woche unterrichtet er, offiziell dürfen es nicht mehr sein als zehn Stunden sein, „aber ich betreue mittlerweile vor allem Hauptfachstudenten, die brauchen mehr Fürsorge, und um sie will ich mich unbedingt kümmern“.

Wechsel vom Hymnus zum Collegium Iuvenum

Da zeigt er sich, endlich: der Familienmensch. Die Sehnsucht, einer Gruppe von Menschen tief und lange verbunden zu sein, war schon da, als der Junge zehn Jahre lang bei den Hymnus-Chorknaben sang – und dann unter der Spaltung der Institution litt, die er als 19-Jähriger nicht verstand. Er wechselte in das frisch gegründete Collegium Iuvenum, dessen Förderkreis er immer noch angehört. Später blieb der Familienmensch Thomas Laske 15 Jahre lang Mitglied im Wuppertaler Opernstudio – bis dieses vor drei Jahren aufgelöst wurde. Heute arbeitet der Sänger nur noch freiberuflich und mit einem Schwerpunkt im Konzertbereich – was ihm immerhin die Möglichkeit schafft, zwischendurch viel mit seiner eigenen Familie zusammen zu sein. Laskes Frau ist Flötistin im Wuppertaler Sinfonieorchester, also ist der Lebensmittelpunkt dort geblieben, und der Bariton schwärmt von seiner Stadt, die so wenige nur kennen, von der wunderschönen Konzerthalle aus dem Jahr 1900, der Magnetschwebebahn und von dem vielen Grün rundherum, in dem er regelmäßig joggen geht.

Was er beim Hymnus lernte? Einen sorgsamen Umgang mit Text und musikalischer Phrasierung. Selbstdisziplin. Und viel über Bach, dessen Werke Thomas Laskes Karriere begleiten und in denen er immer wieder Neues entdeckt – „das wird mir nie über“. Und was blieb zurück vom Toningenieurstudium? Analytisches Hören. Und ein Verständnis für die technische Seite von Tonaufnahmen. Über den Standort eines Mikrofons regt sich Laske – im Gegensatz zu einigen seiner singenden Kollegen – nicht auf.

Ein Tenor, sagt Thomas Laske, hat es leichter als ein Bariton

Ansonsten? Gesunde Ernährung, viel Sport, ausreichend Schlaf, aber „keine übertriebene Vorsicht“. Viel wichtiger findet es der Sänger, nie ganz zufrieden zu sein. Und sich nicht zu überfordern. Das Problem bei einer Baritonstimme sei, dass man in sehr unterschiedlichen Lagen singen müsse, einen Abend höher, einen anderen tiefer. So gesehen, habe es ein Tenor leichter als ein Bariton wie er, der vom Lyrischen her kommt und sich nur behutsam dem etwas stimmkräftigeren Fach genähert hat, das man als Kavaliersbariton bezeichnet. Deshalb hat Thomas Laske seinem großen Idol Sherill Milnes auch noch nicht nachgeeifert: Bis er den Scarpia singen kann und singen will, dürfte seiner eigenen Schätzung nach noch etwa zehn Jahre lang ziemlich viel Wasser die Wupper hinunterlaufen. Auch in Anbetracht des traurigen Bühnentodes von Puccinis Bösewicht wirkt das wie eine ziemlich weise Entscheidung.

Termin Bach, Weihnachtsoratorium mit dem Hymnuschor Stuttgart: Di, 17 Uhr, Beethovensaal