Tierheime in Not So viele Tiere wie nie brauchen Hilfe

Besonders viele Katzen warten in Tierheimen der Region Stuttgart auf ein neues Zuhause. Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Auch in den Tierheimen in der Region ist die Lage extrem schwierig. Mehrere Gründe führen zu dem Desaster. Tierfreunde fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Der Hilferuf hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Thomas Schröder, der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, klagt, in deutschen Tierheimen sei die Lage so dramatisch wie nie zuvor. Stimmt das? Und wie sieht die Situation konkret in der Region Stuttgart aus?

 

Stuttgart – ein tägliches Desaster

„Langsam platzt uns der Kragen, weil viele Menschen nicht darüber nachdenken, was für eine Verantwortung ein Tier mit sich bringt: Und wenn man keine Lust mehr hat, dann wird das Tier halt ohne Reue abgegeben und die Leute beschweren sich sogar noch, dass dafür Gebühren anfallen.“ Emotional reagiert Petra Veiel, die Sprecherin des Stuttgarter Tierheims, auf die aktuelle Situation: „Wir erleben das Desaster hier im Tierheim täglich und bekommen immer mehr Fälle.“

Einen kompletten Aufnahmestopp gibt es im Stuttgarter Tierheim, das aktuell mehr als 1000 Tiere versorgen muss, zwar nicht: Aber, sagt Veiel: „Wir können derzeit nur Notfälle nehmen und nicht Tiere, deren Besitzer sich spontan für eine Übergabe entscheiden.“ Weil die Kosten ständig steigen, wird zudem an allen Ecken und Enden gespart: Veiel: „Umbauten werden gerade komplett zurückgestellt.“

Ludwigsburg – die Spätfolgen von Corona

Ursula Gericke, die Leiterin des Ludwigsburger Tierheims, macht mehrere Tatsachen verantwortlich für die aktuelle Notsituation der Tierheime. Corona habe dazu geführt, dass damals vermehrt verhaltensauffällige und chronisch kranke Tiere angeboten und gekauft worden seien. Aber auch die neue Tierarztverordnung mit deutlich höheren Behandlungskosten bei gleichzeitig inflationsbedingten finanziellen Einbußen der Tierbesitzer führe zu unerträglichen Zuständen. Gericke: „Vor kurzem hatten wird einen älteren Mann hier, der nicht mehr das Geld hatte, um seine 17-jährige, schwer leidende Katze einschläfern zu lassen.“ Auf eines ist Ursula Gericke aber stolz: „Noch nie hat es bei uns einen Aufnahmestopp gegeben.

Reutlingen – die Situation spitzt sich zu

Noch gibt es auch im Tierheim Reutlingen keinen Aufnahmestopp. Aber, so sagt Tierheim-Sprecherin Heide Renner: „Die Situation spitzt sich zu, bei uns wächst die Angst, dass er irgendwann kommen wird.“ Der Platz an freien Zwingern sinke stetig. Hinzu kämen marode Gebäude, die irgendwann einfach nicht mehr genutzt werden könnten.

Unzählige Gespräche habe man mit regionalen und überregionalen Politikern geführt. Aber mehr als Verständnis oder oft auch Erstaunen über die geleistete Arbeit sei dabei nicht herausgesprungen. Entweder fehle es am Geld oder an Einigkeit, um etwa eine Steuerbefreiung für ehemalige Tierheimhunde durchzusetzen oder die Katzenkastrationspflicht zu regeln. Besonders die Personalsuche gestalte sich immer schwieriger: Heide Renner: „Das Personal das da ist, kämpft jeden Tag mit unglaublichem Druck und Stress, hat sowohl mit Tier- als auch Menschenschicksalen zu tun und das alles an Arbeitstagen, die oft keine Pause haben, dafür aber unzählige Überstunden. Work Life Balance ist für Tierpfleger oft ein Fremdwort und das zu einem Gehalt von 16,90 Euro die Stunde nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit. Für mehr Personal, wenn man denn welches finden würde, fehlt das Geld.

Böblingen – Druck trotz Sondersituation

Das Böblinger Tierheim bildet unter den Auffangstationen in der Region eine Ausnahme. Es ist die einzige Einrichtung ihrer Art, die direkt vom Landkreis betrieben wird, also eine feste finanzielle Basis besitzt. Deshalb ist dort, so merkt der Tierheimleiter Torsten Alzinger an, die Situation nicht ganz so dramatisch wie anderswo. Zuletzt habe sich die Lage etwas beruhigt. Während das Kreistierheim vor Weihnachten mehr als 100 Katzen versorgen musste, sind es jetzt zwischen 60 und 70. „Das kann sich aber ganz schnell wieder ändern“, sagt Alzinger.

Tübingen – ein Neubau ist Pflicht

Ein extremes Beispiel für die Nöte der Tierretter gibt es in Tübingen. Das Tierheim des Tierschutzvereins Tübingen ist nicht nur 70 Jahre alt, sondern es ist in dieser Zeit dort auch nahezu nichts passiert. „Im Grunde brauchen wir einen Neubau“, sagt Anne Kreim, die Vorstandsvorsitzende des Tierschutzvereins Tübingen. Doch allein schon für den laufenden Betrieb zahlten die Kommunen viel zu wenig Geld. „Wir brauchen mindestens 1,50 Euro pro Bürger und Jahr, um unsere Aufgaben erledigen zu können“, rechnet Anne Kreim vor, „Wir haben im vergangenen Jahr aber nur 62 Cent bekommen.“ Auch Kreim beklagt, dass festangestellten Mitarbeitern viel zu niedrige Gehälter, oft sogar nur der Mindestlohn bezahlt werden könne. „Wir retten uns mit vielen ehrenamtlichen Helfern“, beschreibt sie die Tübinger Situation.

Kirchheim – so voll wie nie

Kirchheim unter Teck hat ein kleines Tierheim, in dem vor allem Katzen versorgt werden. Auch hier, so Sprecherin Sandra Nebe, ist die Situation dramatisch: „Wir waren in unserem Tierheim voll wie nie.“ Aktuell habe sich die Situation ein wenig entspannt: „Wir haben in diesem Jahr schon 27 Katzen vermittelt“, erzählt Sandra Nebe. Jetzt leben noch 29 Katzen in der Einrichtung. Hunde kann das Kirchheimer Tierheim nicht aufnahmen, ist aber verpflichtet, Fundhunde zu versorgen. Auf Wartelisten verzichten die Kirchheimer. „Das macht keinen Sinn, weil wir gar nicht die Zeit haben, jemandem hinterher zu telefonieren. Wir entscheiden von Tag zu Tag,“ sagt Nebe.

Filderstadt – doppelt so viele Katzen

Insgesamt ist die Situation im Tierheim in Filderstadt aktuell beherrschbar. Einzige Ausnahme bilden die Katzen. Deren Zahl ist doppelt so hoch wie in normalen Jahren. Hier kann es, so Josefine Bohn, zu Wartezeiten bei der Abgabe kommen.

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