Der niederländische Sänger Tim Vantol und seine Band haben am Mittwochabend im Stuttgarter Kellerklub das Publikum begeistert. Mit ehrlichen Folksongs, mitreißenden Melodien - und einer Attitüde, die man nur sympathisch finden kann. Und am Ende gab's noch eine politische Botschaft.

Stuttgart - Das Leben ist nicht dazu da, um glücklich zu werden, soll die Mutter von John Allen gesagt haben. Im Gegenteil, findet der Sänger aus Hamburg, der den Abend für Tim Vantol im Kellerklub eröffnet - das Leben ist genau dazu da. Allen weiß ebenso wie der niederländische Sänger genau, wovon er redet. Beide haben sich dem Leben auf der Straße verschrieben, um ihrem Glück auf die Sprünge zu verhelfen. 

 

Musik macht glücklich. Das weiß jeder, der sich ihr mit Leib und Seele verschrieben hat. Musikern geht es aber nicht anders als allen anderen, die ihrer kreativen Ader freien Lauf lassen - sei es als Maler oder Schriftsteller - es ist nicht der naheliegendste Job, um die eigene Existenz zu sichern. Im Gegenteil, viele würden davon abraten. Es gehört verdammt viel Mut dazu, so sehr an sich zu glauben - oder dem Unausweichlichen nachzugeben, weil es eben das ist, was einen ausmacht - dass man alle Sicherheiten sausen lässt und hauptberuflich Songs spielt, tourt, aufnimmt. 

Das Risiko, dem Glück zu folgen

Tim Vantol und John Allen, die an diesem Mittwochabend den Stuttgarter Kellerklub gut füllen, wissen beide, was das bedeutet. Der ehemalige Lehrer John Allen hat seinen Job als Lehrer erst vor kurzem an den Nagel gehängt, bei Tim Vantol ist es schon sechs Jahre her. Es geht ums Glück, und darum, sich selbst treu zu bleiben. 

Man lehnt sich kaum aus dem Fenster, wenn man unterstellt, dass es sich für beide Sänger schon gelohnt hat. Allen, dessen Karriere begann, weil er als Fan von Frank Turner vor dessen Shows spielte und so letztlich auch die Aufmerksamkeit des englischen Sängers auf sich zog, hat eine Raubeinstimme, die den Raum füllt. In Stuttgart kennen viele seine Texte, sie singen lauthals mit bei seinen Songs, die man am ehesten als Pubmusik bezeichnen kann. Die Mischung aus Folk und Country-Anleihen verbreiten eine Energie, die genau die richtige Einstimmung ist für das, was Tim Vantol und seine Band später abliefern. 

Tim Vantol, der 30-jährige Sänger aus Amsterdam, und seine dreiköpfige Band erklimmen die Bühne und verbreiten vom ersten Folk-Punk-Song an eine Wahnsinnsfreude. Sie haben Lust zu spielen, daran lassen sie keinen Zweifel. Mit den ersten rockigen Tönen hüpft der Gitarrist auf der Bühne herum, Tim Vantols angestrengtes Gesicht spiegelt jede Emotion seiner Texte wider, selbst der Schlagzeuger singt mit - für sich, nicht fürs Mikro. Und dann ist da noch Hector, der spanische Bassist, der kurzfristig dazukam. 

Die Fans singen lauthals mit

Die Fans in Stuttgart lesen Tim Vantol an diesem Abend jeden Wunsch von den Lippen ab. Mitsingen? Na klar, aus vollen Kehlen. Zwischen glückseligem Applaus und Jubelrufen feiern sie den schmächtigen Holländer mit dem - szenetypisch nur konsequenten - Rauschebart. Vantol belohnt sie mit alten Songs, Singalongs und ruhigen Stücken wie "Bitter Morning Taste", das er gegen Ende allein singt. Er spielt auch viele neue Lieder, die mal auf der CD erscheinen werden, die er seit Ewigkeiten versucht aufzunehmen. Da ist ein Lied wie "A Little That We Knew", dessen nachdenklicher Tenor nicht vom Mitwippen abhalten kann. Es ist eine Gabe, die Vantol mit anderen Ausnahmesongwritern teilt, mit den lauten Stücken derart einzuheizen, dass niemand mehr stillstehen kann, und mit den leisen Liedern direkt ans Herz zu gehen. Pathos? Fehlanzeige. 

Tim Vantol schrammelt, singt, kämpft sich durch ein langes Set. Und dabei hat er ebenso wie seine Mitstreiter an Bass, Gitarre und Drums vor allem verdammt viel Spaß. Wer sich davon in Stuttgart nicht anstecken lässt, hat kein Gefühl für Melodien, wer davon nicht irgendwie ergriffen ist, dem kann man auch nicht helfen. Der Holländer ist obendrein noch verdammt sympathisch und hat mit den Ansagen zwischen den Songs die Lacher auf seiner Seite. Er erzählt davon, dass er jetzt in einem Kaff auf dem Land lebt, was zwar ein großartiger Ort ist, um seinen Hund auszuführen - aber auch voller religiöser Menschen. Vantol ist ein Mensch, der niemanden vor den Kopf stoßen will - er betont, dass es natürlich vollkommen legitim sei, gläubig zu sein. Nur er ist es halt nicht, und die besten Ideen hat er sonntags. Wenn er sich von Partys und dem darauf folgenden Kater erholt hat. Nur: laute Musik ist dann schwierig.

Eine politische Botschaft

Vantol ist aus dem Dunstkreis der Camaraderie um den Hot Water Music-Sänger Chuck Ragan und seine Revival Tour, im Frühjahr hat er auch in Stuttgart für Chuck Ragan eröffnet. In diese Camaraderie, dieses lose kollektiv von Musikern, passt er nicht nur musikalisch perfekt hinein. Ihnen allen ist gemein, dass sie verdammt dankbare Typen sind, die rein gar nichts für selbstverständlich halten. Auch Vantol bedankt sich gefühlte tausend Mal beim Publikum, den Veranstaltern, den Leuten an der Bar, allen halt. Am Ende spielt er einen seiner bekanntesten - und besten - Songs, "If We Go Down, We Will Go Together". Es ist ein Song zum Mitsingen, und das Publikum in Stuttgart muss dazu nicht lange gebeten werden.

Tim Vantol gibt ihnen noch eine Botschaft auf den Weg, bevor er von der Bühne verschwindet, am Ende wird es noch mal politisch. Man braucht in diesen Tagen nicht lange raten, worum es wohl gehen könnte, wenn ein Musiker eine politische Message loswerden will, der eigentlich keine politischen Songs schreibt: Es geht um die vielen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Heißt sie willkommen, lautet Vantols Botschaft - auch wenn er erklärtermaßen glaubt, dass 100 Prozent der Zuschauer das ohnehin so sehen. "Kein Mensch ist illegal", wiederholt er trotzdem einen altbekannten Slogan - vom Publikum erntet er dafür Jubelrufe.

Dann ist es vorbei, um kurz nach halb elf, die kleine Blase platzt, in der man sich für anderthalb Stunden befand. In Gedanken aber ist man noch bei dem schmächtigen holländischen Sänger, der im Kellerklub wohl niemanden kaltgelassen hat.