Die Mitgliedsländer streiten seit Monaten, wie sie ihre Schulden abbauen wollen. Berlin will sparen, Paris mehr ausgeben – nun nähern sie sich an.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Protest kommt von den Umweltverbänden. „Lindner darf unsere Zukunft nicht kaputtsparen!“, empört sich Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring. Adressat ist Finanzminister Christian Lindner. Der traf sich am Donnerstag mit seinen EU-Kollegen, um in Brüssel über die Reform der Schuldenregeln zu verhandeln. Umweltschützer befürchten, dass in Zukunft das Geld für Investitionen in den angestrebten klimaneutralen Umbau Europas fehlen könnte, weil die Länder zum Sparkurs gezwungen werden.

 

Sparer versus Spendierer

Christian Lindner will die rigide Haltung Deutschlands nicht aufgeben. Am Donnerstag erklärte der FDP-Politiker am Rande des Treffens aber, er sehe erstmals „substanzielle Fortschritte“ bei der geplanten Reform der Defizitregeln. Auf dem Tisch liegt ein Kompromissvorschlag Spaniens, das in diesem Halbjahr den Ministerräten vorsitzt. „Ich bin nun viel optimistischer, bis Jahresende einen Konsens unter den Mitgliedstaaten erreichen zu können“, sagte Lindner. Der Vorschlag berücksichtige „Sicherheitslinien“, die für Deutschland wichtig seien. „Dass es also wirklich einen Abbau gibt bei der Staatsverschuldung und dass auch die jährlichen Defizite berücksichtigt werden.“

Nicht gerüttelt werden soll an den bisherigen Zielen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Zwar soll hoch verschuldeten europäischen Ländern mehr Flexibilität beim Schuldenabbau eingeräumt werden. Aber die Schulden werden bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt und das Haushaltsdefizit soll unter drei Prozent gehalten werden. Wegen der Coronakrise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden die Regeln vorübergehend bis 2024 ausgesetzt.

Die Diskussion über den Abbau der Schulden hat Europa in zwei Lager gespalten. Stehen auf der einen Seite Länder wie Deutschland und Österreich, werden die ausgabenfreudigeren Staaten von Frankreich und Italien angeführt. Sie wollen Regierungen mehr Freiheiten einräumen. Berlin befürchtet allerdings, dass der Wille zum Sparen dann nachlassen könnte.

Um die Fronten zu lockern, wurde von der spanischen Ratspräsidentschaft ein Papier vorgelegt, das in den verschiedenen Bereichen „Landezonen“ identifiziert. Vorgesehen ist, dass jedes Land einen Plan vorlegen muss, in dem beschrieben wird, wie es im Verlauf von vier Jahren seine Schulden abbauen wird. Am Ende dieser Periode soll diese Quote deutlich und nachhaltig sinken.

Deutsch-französische Initiative hilft weiter

Vor allem Deutschland waren „Schutzklauseln“ wichtig. Die sollen eingefügt werden, weil die EU-Kommission in der Vergangenheit mit einigen Regierungen sehr nachsichtig umgegangen ist. So sollen Staaten mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr einen festen Prozentsatz an Schulden abbauen. Dasselbe gilt für das Haushaltsdefizit, das bei maximal bei drei Prozent liegen darf. Wie Minister Lindner am Donnerstag in Brüssel betonte, dringe er auf ein hohes Ambitionsniveau bei den jährlichen Zielmarken zum Schuldenabbau.

Offensichtlich auf Druck aus Berlin wurde in dem spanischen Papier auch festgeschrieben, dass es für einzelne Länder zwar Ausnahmeregelungen geben kann, die aber nicht von der EU-Kommission, sondern von den anderen Mitgliedstaaten genehmigt werden müssen.

Bewegung in die festgefahrenen Gespräche war durch eine deutsch-französische Initiative gekommen. Lindner hatte Anfang der Woche seinen Kollegen Bruno Le Maire in Paris besucht, noch im November soll der Gegenbesuch in Berlin erfolgen. Es gebe ein „Bewusstsein für die absolute Notwendigkeit, bis Ende 2023 eine Einigung zu erzielen“, betonte Bruno Le Maire in Brüssel. „Die Europäische Union braucht diese neuen Regeln, die alten sind überholt und obsolet.“