Zehn Jahre nach dem verheerenden Tsunami betreibt Indonesien ein von deutschen Forschern entwickeltes Frühwarnsystem. Es basiert nicht mehr auf Bojen, sondern auf Messstationen an Land. Für die Datenanalyse laufen Computer auf Hochtouren.

Stuttgart - Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Ausgelöst werden Tsunamis in neun von zehn Fällen von einem Erdbeben unter dem Meeresboden. Solche Erschütterungen werden sich auch in absehbarer Zukunft nicht zuverlässig vorhersagen lassen, sind sich Geophysiker sicher. Daher kann nur das Erdbeben selbst vor den Riesenwellen warnen, die es auslöst. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 überrollte ein Tsunami bereits 20 Minuten nach dem Beben die tiefer liegenden Regionen der indonesischen Insel Sumatra und zerstörte die Städte Banda Aceh und Meulaboh. Selbst im Idealfall bleiben also nur 20 Minuten Zeit, um die Bevölkerung zu warnen und in Sicherheit zu bringen.

 

Keine drei Wochen nach dem verheerenden Unglück präsentierten Forscher des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) mit Kollegen anderer Institute ein solches Frühwarnsystem für den Indischen Ozean. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder war auf Anhieb überzeugt. Weitere zwei Wochen später war mit Indonesien auch das Land mit im Boot, in dem der Tsunami fast 170 000 Todesopfer gefordert hatte. 60 Millionen Euro steckt Deutschland in dieses „German Indonesian Tsunami Early Warning System“ (GITEWS), das seit März 2011 vollständig von Indonesien betrieben wird.

Da sich auf der Insel Sumatra die Menschen aus einem zwei Kilometer breiten Küstenstreifen in Sicherheit bringen müssen, sollte eine Warnung spätestens fünf Minuten nach Beginn eines Erdbebens die Betroffenen erreichen, um ihnen eine Chance zu geben, ihr Leben zu retten. Dieses Tempo aber erreichen herkömmliche Systeme bei weitem nicht. Der deutsche GITEWS-Chef und GFZ-Forscher Jörn Lauterjung und seine Mitarbeiter betraten daher absolutes Neuland.

Ist ein Tsunami ausgelöst worden? Wohin bewegt er sich?

In den ersten fünf Minuten nach einem Erdbeben erhalten herkömmliche Systeme zu wenig Informationen, um sich ein zuverlässiges Bild der Lage zu machen. Die Folge wären Fehlalarme mit fatalen Folgen in einem Land wie Indonesien, in dem die Erde sehr häufig bebt: Nach einigen falschen Alarmen dürften die Menschen die Warnung nicht mehr ernst nehmen und beim nächsten echten Tsunami nicht reagieren.

Daher sammelt GITEWS mehr Informationen mit einem eng gespannten Netz verschiedener Messmethoden. Als Kernstück hat das GFZ 25 Stationen gebaut, die Wellen im Untergrund registrieren, die bei jedem Beben entstehen. Zusammen mit den Daten von mehr als hundert weiterer von Japan, China und Indonesien installierten Stationen ermittelt ein von GFZ-Forschern entwickeltes Computerprogramm die Stelle, von der die Erdbebenwellen ausgingen, und liefert so wichtige Daten: Wo und in welcher Tiefe liegt der Herd der Erschütterungen? Wie stark war das Beben, wie groß also die Magnitude?

Da Erdbebenwellen viel schneller sind als ein Tsunami, können sie rechtzeitig warnen – aber auch falschen Alarm auslösen. Wird doch ein Tsunami nur dann ausgelöst, wenn sich der Meeresboden bei starken Seebeben auch kräftig hebt oder senkt. Die so entstandenen Wellen wollten die Forscher ursprünglich mit Bojen direkt messen und die Daten über Funk an die Tsunami-Warnzentrale in Jakarta übermitteln. Allerdings nutzten Fischer die Bojen gern als Ankerplatz und die so beschädigten Geräte fielen häufig aus. Stattdessen installierten die Wissenschaftler entlang der Küste der Inseln Java und Sumatra alle 50 oder 60 Kilometer eine GPS-Station, die ihren Standort mit dem Satellitenortungssystem sehr exakt bestimmen. Verändert sich die Lage dieser Stationen bei einem starken Erdbeben, berechnet ein aufwändiges Computerprogramm daraus, wie stark sich der Meeresboden vor der Küste gehoben oder gesenkt hat. Daraus wiederum lässt sich nach weniger als drei Minuten berechnen, ob ein Tsunami ausgelöst worden ist. Zusätzlich liefern Pegelstationen an der Küste weitere Informationen über die tatsächliche Wellenhöhe auf dem Meer.

Viele mögliche Szenarien sind schon berechnet worden

Ein Tsunami breitet sich allerdings nicht völlig geradlinig aus, sondern wird von Unterwasserbergen oder Inselketten abgelenkt. Um diese Hindernisse erst einmal zu erfassen, rüstete das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel das indonesische Forschungsschiff „Baruna Jaya IV“ mit einem Fächerecholot aus, das den Meeresbodens bis zu einer Tiefe von 3000 Metern mit Schallwellen genau vermisst. Parallel dazu übernahm das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ mit einem anderen Fächerecholot den Teil des Meeresbodens, der tiefer als 3000 Meter liegt.

Die so errechneten Karten des Meeresgrundes verwendeten Spezialisten des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven für ihre Computermodelle, mit denen sie das Verhalten eines entstandenen Tsunami auf seinem Weg zur Küste berechnen. Mehr als 3500 Beben mit gleichmäßig entlang des Sunda-Grabens vor der Küste Indonesiens verteilten Epizentren und die daraus entstehenden Wellen rechnet dieses System lange vor einer Naturkatastrophe im Computer durch. Wann kommen die Wellen an jedem einzelnen Abschnitt der Küste an? Wie hoch laufen sie dort auf? Diese Berechnungen liefern den Katastrophenschützern in den jeweiligen Gemeinden lange vor einem Beben wertvolle Informationen: Wie viel Zeit bleibt für eine Evakuierung, welche Fluchtwege sollten ausgewiesen werden, wo können Schutzräume errichtet werden und wie hoch sollten diese über dem Meeresspiegel liegen?

Läuft ein Tsunami nach einem Beben bereits auf die Küste zu, kann das Warnsystem innerhalb von ganz wenigen Sekunden aus den gespeicherten Modellrechnungen für verschiedene Beben die am besten passende Berechnung aussuchen und so blitzschnell detaillierte Informationen über die Wellen an den verschiedenen Küstenabschnitten liefern. Da sich die Leistung moderner Computer stark verbessert hat, lassen sich diese aufwändigen Modelle für die flachen Meeresbereiche auch in Echtzeit rechnen, wenn das passende Katastrophen-Szenario vorab noch nicht gespeichert wurde. Mit diesen Daten kann das Warnzentrum in der indonesischen Hauptstadt Jakarta für jedes Gebiet weniger als fünf Minuten nach Beginn des Bebens eine spezifische Warnung herausgeben.

Wie Warnung und Rettung funktionieren

Planung
Computermodelle liefern Informationen, wie hoch ein Tsunami an bestimmten Abschnitten der Küste ankommt und wie die Welle sich zwischen Häusern und Hügeln weiter bewegt. Mit diesen Daten erstellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt für jeden Abschnitt der Küste Karten mit den gefährdeten Gebieten. Dort sollten dann zum Beispiel weder Schulen noch Krankenhäuser gebaut werden. Mit diesen Daten entwickeln die Behörden auch Evakuierungspläne und installieren Schilder, die auf Fluchtwege hinweisen.

Rettung
Oft schaffen es die Menschen nicht rechtzeitig auf einen sicheren Hügel. Daher legt die Verwaltung auch „vertikale“ Fluchtmöglichkeiten an. Das sind zum Beispiel Parkhäuser oder Hotels im Küstenstreifen, die auch vom höchsten Tsunami nicht überflutet werden. Stehen solche Gebäude auf Betonpfeilern, gurgeln die Riesenwellen zwischen diesen Stützen durch, ohne sie einzureißen. Damit die Menschen schnell nach oben kommen, lassen Hoteliers die Treppen verbreitern. Zusätzlich errichtet die Verwaltung „Shelter“. Das sind oft mächtige Betonpfähle, auf denen eine Plattform Tausenden von Menschen Platz bietet, die auf breiten Rampen nach oben rennen können.

Übung
Damit die Betroffenen auch wissen, was sie im Ernstfall tun sollten, gibt es viele Übungen. Zusätzlich informieren ausgebildete Trainer die Menschen, wie sie sich richtig verhalten – natürlich abgestimmt auf den entsprechenden Kulturkreis. Schließlich leben in Indonesien Muslime, Christen und Hindus mit jeweils unterschiedlichen Verhaltensweisen.