Wie ließe sich die Zahl der Flüchtlinge begrenzen?
Das heißt erst mal Hilfe vor Ort. Es ist doch ein Skandal, dass die Nahrungsrationen in den Lagern gekürzt wurden, weil zu wenig Geld da war. Wir Grüne haben schon lange dafür geworben, Flüchtlinge in Familienverbänden direkt zu uns zu holen. Wir könnten also beispielsweise über einige Jahre verteilt eine Million Flüchtlinge aus den Lagern zu uns holen. Im Gegenzug sollte klar sein, dass die individuelle Flucht weniger Chancen bietet, um in das Wunschland Deutschland zu kommen. Zum Beispiel, in dem dieser Weg in den europäischen Verteilungsschlüssel führt. Zusammen würde das einen starken Anreiz setzen, dass die Menschen nicht auf eigene Faust übers Meer kommen sich großen Gefahren aussetzen und ihre Familien zerrissen werden.
Manche Arbeitgeber schlagen vor, den Mindestlohn zu senken, um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Ist das der richtige Weg?
Das ist der falsche Weg, er bringt viel Zwist in die Gesellschaft. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass diejenigen, die jetzt schon wenig für ihre Arbeit bekommen, die Zeche dafür zahlen, dass Flüchtlinge eine Arbeit haben. Der Mindestlohn muss bleiben.
Viele Flüchtlinge kommen auch nach Tübingen. Wie schaffen Sie Platz für die neuen Mitbürger?
Für mich ist die Lösung der Wohnungsfrage in den Ballungsräumen absolut entscheidend. Tübingens Wohnungsmarkt ist bereits so dicht, dass 500 Menschen auf der Notfallliste für eine Sozialwohnung sind. Die Flüchtlinge kommen hinzu. Weil jegliche Reserve im Bestand längst fehlt, geht es um Neubau. Dafür brauchen wir erstens sehr viel mehr Geld vom Staat. . .
. . . ein Programm für den sozialen Wohnungsbau wurde doch gerade aufgelegt. . .
. . . das Programm des Bundes umfasst 500 Millionen Euro. Das reicht für 12 000 Wohnungen, es kommen aber am Tag 12 000 Menschen nach Deutschland. Das ist ein grobes Missverhältnis, vorsichtig ausgedrückt. Somit brauchen wir sehr viel mehr Geld, es geht um das Zehn- bis Zwanzigfache dessen, was derzeit für die Kommunen bereitgestellt wird. Außerdem müssen wir Standards absenken und uns von vielen Bauvorschriften befreien.
Sie meinen Abstriche beim Baurecht oder bei der Ausweisung von Bauland?
Bei allem, auch bei Planungsqualität oder Bürgerbeteiligung. Alles, was viel Zeit benötigt, muss jetzt zurückstehen, um sehr schnell Wohnraum schaffen zu können. Im besten Fall führt das zu einfachem, günstigen Wohnraum, der in zehn Jahren auch der einheimischen Bevölkerung Perspektiven bietet.
Können Sie tatsächlich Bauvorschriften außer Kraft setzten?
Nein, aber wir haben Spielräume. Zum Beispiel kann man von vielem befreien, wenn die Genehmigung auf drei Jahre befristet wird. Was in drei Jahren ist, weiß ich heute nicht. Ich kann es mir allenfalls denken, reden tue ich darüber nicht. Und wir Kommunen können schon Einfluss nehmen. Im Asylbeschleunigungsverfahrensgesetz sind viele Erleichterungen im Baurecht enthalten, aber nur für die staatliche Unterbringung der Länder. Unsere Landesregierung hat jetzt verbindlich klar gestellt, dass das auch für die Unterkünfte der Kommunen gilt. Das hilft uns sehr.
Werden Sie auf Flüchtlinge angesprochen, wenn sie samstags den Kinderwagen über den Tübinger Marktplatz schieben?
Überrascht bin ich darüber, dass ich in Tübingen noch nie so viel Zustimmung erfahren habe wie zuletzt. Die Reaktion ist geprägt von zwei Grundhaltungen. Zum einen stimmen mir Menschen zu, die Zukunftsängste haben, weil sie wenig verdienen oder auf Wohnungssuche sind. Für diese Menschen müssen wir viel mehr tun. Und dann gibt es die klassischen Tübinger Akademiker. Die sagen zwar, sie sind nicht überall meiner Meinung, aber sie finden es gut, dass ich die Debatte führe.
Wie wird sich die Flüchtlingsproblematik auf die Landtagswahl auswirken?
Die AfD wird wohl stärker werden. Das Motiv der Wähler kann nur sein, die etablierten Parteien dazu zu bringen, bessere Lösungen für die Flüchtlingsproblematik zu bringen als bisher. Das richtet sich vor allen an die CDU. Sie versucht mitunter auf der Klaviatur der Ressentiments zu spielen, in dem sie wie der CDU-Spitzenkandidat Wolf sagt, die Flüchtlinge erwarten hier ein Schlaraffenland. Die Kanzlerin verknüpft Willkommenskultur mit Hilflosigkeit. Das macht die Leute konfus.
Im Land können die Grünen selbst handeln.
Kein Land ist bei der Flüchtlingsunterbringung besser aufgestellt als Baden-Württemberg, sogar der Bundesinnenminister lobt die zentrale Registrierungsstelle in Heidelberg als vorbildlich. Wir Grünen müssen zeigen, dass wir die richtigen Handlungen mit der richtigen Haltung kombinieren. Jeder glaubt, dass wir uns für Flüchtlinge einsetzen. Nun müssen wir zeigen, dass wir Lösungen haben für die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen. Das ist das beste Rezept für die Wahl, niemand verkörpert diesen Pragmatismus besser als unser Landesvater.