Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, sorgt sich um den Zusammenhalt seines Verbands. Der Grund ist die wachsende Radikalisierung. Sofuoglu setzt große Stücke auf die Jugend – die er mobilisieren will.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Gökay Sofuoglus runzelt sorgenvoll die Stirn. Viele Deutschtürken haben einen anderen Weg eingeschlagen als der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg (TGBW), die sich um Integrationsfragen bemüht. Und da sich die verbleibenden Verbandsmitglieder untereinander auch oft nicht grün sind, ist die TGBW heute auf eine Zerreißprobe gestellt. „Wir beobachten vor allem bei jungen Türken die Tendenz, dass sich viele immer stärker radikalisieren“, sagt Sofuoglu. Unter dem Dach des Verbands tummeln sich 26 türkische Kulturvereine mit insgesamt 3000 bis 4000 Mitgliedern. Auch wenn gerade die Jugend besonders auseinanderdriftet: In ihr sieht Sofuoglu die größte Chance, seine Gemeinde zusammenzuhalten.

 

Darum hat die TGBW das Projekt „Jugend bewegt“ auf den Weg gebracht. Sofuoglu geht es dabei vor allem darum, den Bedürfnissen türkischstämmiger Jugendlicher auf den Grund zu gehen. „Bis jetzt gibt es keine verlässlichen Forschungen darüber“, sagt er. Spekuliert wird dagegen viel, warum sich viele junge Türken hier entweder mit Erdogan identifizieren, sich dem Islamismus annähern oder der Türkei gegenüber sogar „staatsfeindlich“ auftreten – und das, obwohl die meisten von ihnen schon in dritter Generation in Deutschland leben.

Doch Gökay Sofuoglu will Fakten schaffen. „Wir haben Fragebögen im Internet verteilt. Wir hoffen, mehrere Hundert Exemplare ausgefüllt zurückzubekommen und dann klüger zu sein“, sagt er. Die Bögen werden vom Institut für angewandtes Schulmanagement (Ifas) und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Die Kernfragen sind: Was habe ich für eine Zukunftsperspektive in Deutschland? Wie frei kann ich hier meine Religion ausüben? Wie passt das mit dem Umgang mit Sexualität zusammen? Wie gehe ich mit Diskriminierung um?

Verbandstrukturen radikal umbauen

Eine Tendenz zeichne sich bereits aus der ersten Veranstaltung ab, bei der etwa 60 junge Türken in den Räumen der TGBW an der Reinsburgstraße teilgenommen haben. „Linke, sehr religiöse und regierungstreue junge Menschen“, sagt Sofuoglu.

Ihnen sei gemein: An politischen Themen interessiert zu sein, nicht aber an Politikern selbst. „Und das gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für uns alte Verbandsvorstände, mit denen sie sich nicht wirklich identifizieren können.“ Sollte sich dies bei den Umfragen bewahrheiten, will Sofuoglu die Verbandsstrukturen radikal umbauen. „Wir brauchen ein Angebot, bei dem sich Jugendliche eigenverantwortlich organisieren können“, sagt er.

Sofuoglu befürchtet, dass der Zulauf junger Türken in die Kulturvereine im Verband weiter schwindet. Denn auch extreme Gruppierungen, die nichts mit der als moderat geltenden TGBW zu tun haben, buhlen um den Nachwuchs. Sofuoglu nennt die Osmanen Germania mit Straßengang-Strukturen, die enge Verbindungen zum türkischen Geheimdienst MIT haben soll. Aber auch das rechte Bündnis Türk Fedarasyon, ultrakonservative Moscheen und linksextreme Vereinigungen, häufig pro-kurdisch geprägt, zählten zur Konkurrenz, die nur noch im Dialog mit dem eigenen ideologischen Umfeld sei.

Als Frau geschminkt, verspottet

Nicht nur ideologisch, auch im Stil unterscheiden sich diese teils deutlich von der TGBW. „Als wir 2015 zum ersten Mal mit einer Delegation beim Christopher Street Day in Stuttgart dabei waren, gab es dafür viel Spott im Netz“, sagt Gökay Sofuoglu. Es kursierten Collagen mit seinem Gesicht – als Frau geschminkt – und darunter türkische Nationalflaggen. Dazu die Frage: Ob der TGBW sich nun für „Schwuchteln“, oder für die Interessen „stolzer Türken“ einsetze. Heute hat sich Sofuoglu an Beschimpfungen in sozialen Netzwerken oder per Mail gewöhnt. „Wenn ich wieder mal meine, dass mir etwas besonders gut gelungen ist, lese ich die Mails, um mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen“, scherzt er.

Auch wenn Gökay Sofuoglu den Humor nicht verloren hat, geht es um eine ernste Angelegenheit. Denn nicht nur der TGBW beobachtet einige der Randgruppen innerhalb der türkischen Community mit Sorge, auch das Landeskriminalamt ist alarmiert. Besonders die Osmanen Germania und deren kurdische Widersacher Bahoz haben die Behörden in der Region vergangenes Jahr auf Trab gehalten.

Auch der Verfassungsschutz ist besorgt

Auch wenn Gökay Sofuoglu mit ihnen übereinstimmt, dass „Kriminelle die Härte des Gesetzes spüren sollen“, bleibt er ein Verfechter der Präventivarbeit. „Die Ziele der dritten und vierten Generation sind andere, als nur Gäste in Deutschland zu sein“, sagt er, „wir müssen für unsere Jugend Perspektiven schaffen.“ Eine Kampagne, die sich an den Ergebnissen des Forschungsprojekts orientieren wird, ist bereits in Planung. Ob Sofuoglu glaubt, so die aktuelle Entwicklung umkehren zu können? Aufgeben will er nicht.