Auf Arte rekonstruiert das Drama „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ die schrecklichen 33 Tage des Unternehmer-Sohnes – allerdings aus Sicht der Familie.

So könnte der Titel einer Komödie lauten: „Wir sind dann wohl die Angehörigen“. Doch die Geschichte ist alles andere als komisch. Hans-Christian Schmids knapp zwei Stunden langes Drama behandelt die Entführung von Jan Philipp Reemtsma im Frühjahr 1996. Der mehrfach mit allen wichtigen deutschen Film- und Fernsehpreisen ausgezeichnete Regisseur hat zwar auch schon Krimis gedreht, aber Schmid und Co-Autor Michael Gutmann schildern die Ereignisse fast ausschließlich aus dem Blickwinkel der Titelfiguren.

 

Nur verzerrte Stimmen

Genauer gesagt: aus Sicht von Reemtsmas damals 13-jährigem Sohn Johann, der das familiäre Trauma in einem 2018 erschienenen gleichnamigen Buch verarbeitet hat. Fast schon akribisch verzichtet Schmid auf jegliche Thriller-Atmosphäre. Die Musik zum Beispiel, bei Stoffen dieser Art ein zuverlässiger Spannungsverstärker, ist betont zurückhaltend. Bilder vom Opfer in seinem Gefängnis, in Entführungskrimis ein steter Quell zusätzlicher Emotionalisierung, gibt es überhaupt nicht. Die Täter sind nur als verzerrte Stimmen bei den Telefonaten präsent. Die Kamera (Julian Krubasik) erzählt die Geschichte nicht, sondern beschränkt sich darauf, die Mitwirkenden zu beobachten. Die Spannung findet quasi hinter den Bildern statt.

All das lässt den Film etwas spröde wirken, zumal die Betroffenen allesamt Haltung bewahren. Es gibt nur ganz wenige Szenen, in denen Ehefrau Ann Kathrin die Fassung verliert und ihren Emotionen freien Lauf lässt; trotzdem vermittelt Adina Vetters hintergründige Verkörperung der Gattin eine große Verletzlichkeit.

Hauptfigur ist zunächst jedoch Johann. Für Claude Albert Heinrich (Darsteller des jungen Udo in „Lindenberg! Mach dein Ding“) stellte die Figur nur dem Anschein nach keine sonderliche Herausforderung dar: Schmid reduziert die Rolle des Sohnes über weite Strecken auf die eines scheinbar teilnahmslosen Beobachters. Heinrichs Spiel nach innen ist jedoch sehr wirkungsvoll und außerdem glaubwürdig, denn der eigentliche Handlungsauftakt nach kurzem Prolog beginnt mit einer Auseinandersetzung: Reemtsma (Philipp Hauß) hat offenkundig wenig Verständnis dafür, dass sich Johann mehr für seine Musik als für die bevorstehende Lateinklausur interessiert; besonders innig scheint das Verhältnis der beiden nicht zu sein.

Als Ann Kathrin in der Nacht feststellt, dass ihr Mann entführt worden ist, nehmen die Dinge ihren Lauf. Fast distanziert schildert Schmid nun das polizeiliche Prozedere, behält jedoch weiterhin die Perspektive der Angehörigen bei, weshalb zum Beispiel der Soko-Leiter (Fabian Hinrichs) bloß eine Randfigur ist. Ansprechpartner für Mutter und Sohn sind zwei Angehörigenbetreuer (Enno Trebs, Yorck Dippe), die fortan so etwas wie unfreiwillige Familienmitglieder werden. Die Ermittlungsebene bleibt komplett außen vor, das Geschehen trägt sich weitgehend in der Villa zu, wo sich die Mitglieder der Notwohngemeinschaft die Zeit mit Kartenspielen, Tischtennis oder Fernsehen vertreiben. Das Verbrechen wird nicht als Thriller ausgeschlachtet.

Jan Philipp Reemtsma ist damals nach 33 Tagen körperlich unversehrt freigekommen, nachdem die Familie die Geldübergabe selbst organisiert hat.

Wir sind dann wohl die Angehörigen: Freitag, 12. April, 20.15 Uhr, Arte