Anne Rice erfand mit „Interview mit einem Vampir“ in den 1970ern den Vampir-Roman neu. Jetzt ist eine TV-Serie, die den Stoff virtuos variiert, bei Sky gestartet.
Nach 100 Jahren Grausamkeit ist Louis der Appetit auf Blut vergangen. „Ich habe den Tod wieder und wieder gesehen: Er langweilt mich“, verrät er dem Reporter, der glaubt mit diesem Interview mit einem Vampir den Coup seines Lebens zu landen. Und auch Lestat, der Louis einst zum Vampir machte, hat die Lust an der eigenen Unsterblichkeit verloren: „Als Vampir fürchtet man sich am meisten vor der Einsamkeit, vor der Leere und dem Nichts, das sich über Jahrzehnte erstrecken kann.“
Der Vampirmythos ist einer der prägenden Horror- und Fantasystoffe der Moderne. Der Blutsauger treibt mal als Grabgespenst, mal als Monster, mal als sexy-unheimlicher Verführer sein Unwesen. Doch erst Anne Rice interessierte sich dafür, wie sich der Vampir dabei fühlt. 1976 erschien ihr Roman „Gespräch mit einem Vampir“, den Neil Jordan 1994 mit Brad Pitt, Tom Cruise, Kirsten Dunst und Christian Slater in den Hauptrollen verfilmte. In der Serie „Interview mit einem Vampir“, die jetzt bei Sky gestartet ist, gibt es ein Wiedersehen mit den Vampiren Louis und Lestat.
Der melancholische Vampir
Der Vampir Louis de Pointe du Lac (Jacob Anderson) erzählt dem Reporter Daniel Molloy (Eric Bogosian) seine ungeheuerliche Lebensgeschichte, die Ende des 19. Jahrhunderts in New Orlans beginnt. Sie handelt von Lestat de Lioncourt (Sam Reid), der Louis damals zum Vampir gemacht hat, von Claudia (Bailey Bass), die als Untote für immer im Körper eines Teenagermädchens gefangen ist, und natürlich von Louis selbst, einem Vampir mit Seele und Stil, der des Mordens überdrüssig ist.
Die achtteilige TV-Serie „Interview mit einem Vampir“ kann es zwar nicht mit der Starpower aufnehmen, mit der damals Neil Jordans Verfilmung auftrumpfte, doch dafür erlaubt sie sich eine unerhörte Erzähltiefe, ergründet vielschichtig die homosexuellen Aspekte der Beziehung zwischen Lestat und Louis, kann sich auf ein großartiges, divers besetztes Ensemble verlassen und findet mit ihrem Hang zur Opulenz bei der Ausstattung und den Kostümen einen einzigartig-eigentümlichen Ton. All das macht die Serie zur besten Vampirserie seit vielen Jahren.
Der Vampir als Erzähler
Die Bedeutung von „Gespräch mit einem Vampir“, dem ersten Roman der „Chronik der Vampire“ von Anne Rice, kann für das Genre kaum überschätzt werden. Ihre Neuinterpretation des Blutsaugers hat den Vampirdiskurs in der Populärkultur nachhaltig geprägt. Weil die Story nicht aus der Perspektive der Menschen, sondern aus der der Vampire erzählt wird, verwandelt sich der Horrorstoff in einen Fantasystoff. Von der „Twilight“- bis zur „Underworld“-Saga, von „Buffy – Im Bann der Dämonen“ bis zu „True Blood“ – nahezu alle Vampirgeschichten haben sich später mal mehr, mal weniger deutlich bei Anne Rices Roman bedient.
Alle Anne-Rice-Bücher sollen verfilmt werden
Der US-amerikanische Pay-TV-Sender AMC, der „Interview mit einem Vampir“ produziert hat, hat sich nicht nur die Rechte an allen elf Bänden der „Chronik der Vampire“, sondern auch an sieben weiteren Romanen Anne Rices gesichert. Soeben ist in den USA bereits die Serie „Mayfair Witches“ angelaufen, die von einer Neurochirurgin (Alexandra Daddario aus „The White Lotus“) erzählt, die herausfindet, dass sie einer alten Hexendynastie entstammt und dass ihre Gedanken töten können. Wann die Serie nach Deutschland kommt, ist noch nicht bekannt.
Rice hat mit ihrer „Chronik der Vampire“ ein ganz eigenes Vampir-Universum geschaffen. Dort gibt es auch Platz für matriarchalische Fantasien, wenn Rice in „Die Königin der Verdammten“ (1985) Akasha zur Herrscherin der Vampire ernennt, die dadurch Frieden finden will, dass sie alle Männer ausrottet.
Ein Vampir wie du und ich
Vor allem hat Rice aber die Sichtweise auf den Vampir entscheidend verändert. Obwohl auch in den frühen Vampirgeschichten der Blutsauger Titelheld war (Polidoris „Der Vampyr“, Le Fanus „Carmilla“, Stokers „Dracula“), war der Dämon nie Hauptfigur. Erzählinstanz war immer das menschliche Gegenüber. Bei Rice erfolgt jedoch ein dramatischer, folgenschwerer Perspektivenwechsel. Der Vampir wird zum (Ich-)Erzähler. Man betrachtet und bewertet die Welt durch die Augen von Louis de Pointe du Lac oder Lestat de Lioncourt. Der Vampir ist damit nicht mehr ein Schreckgespenst, sondern ein Protagonist, dessen Beweggründe und Handlungen nachvollziehbar, nacherlebbar gemacht werden – selbst dann, wenn sie grotesk und gewalttätig sind. Der Vampir ist jetzt einer von uns.
Interview mit einem Vampir: Die ersten beiden Episoden sind bereits wahlweise auf Deutsch oder im Original bei dem Streamingdienst WOW und über Sky Q abrufbar.
5 Vampirserien, die man gesehen haben sollte
Dark Shadows (1966–1971)
In der Gothic-Seifenoper, die es auf 1225 Episoden bringt, treffen Vampire auf Geister, Werwölfe, Zombies und Zauberer.
Buffy – Im Bann der Dämonen (1997–2003)
Die Geschichte einer Vampirjägerin, die sich in einen Vampir verliebt, vermengt unverfroren das Fantasy- und Horrorgenre mit Komödien- und Dramenelementen.
True Blood (2008–2014)
Die gerne trashig Fantasy-, Gore- und Softporno-Elemente vermengende Serie ist zugleich ein Pamphlet für Diversität und gegen Diskriminierung.
The Vampire Diaries (2009–2017)
Wer die „Twilight“-Sage liebt, mag auch diese etwas zahnlose Teenie-Romanze, in der sich ein verträumtes Mädchen in einen 150 Jahre alten Vampir verknallt.
American Horror Story (seit 2011)
Großartig-bösartige Anthologieserie, bei der jede Staffel ein neues Thema hat.