Die wichtigste Politiksendung im Ersten kehrt aus der Sommerpause zurück. Doch die Moderatorin hat bereits ihren Abschied angekündigt. Was bleibt von Anne Will? Und wer folgt?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Maybritt Illner, Markus Lanz, Louis Klamroth sind längst aus der Sommerpause zurück, am kommenden Dienstag ist Sandra Maischberger wieder im Dienst – das Polittalkshow-Karussell der Öffentlich-Rechtlichen läuft wieder auf allen Touren. Und auch der Sonntagabend kehrt zurück zur gewohnten Routine: Nach dem „Tatort“ schlägt Anne Wills Stunde der Woche. Ihre allwöchentliche Debattenrunde ist mit zuletzt über drei Millionen Zuschauern pro Ausgabe nicht nur Spitzenreiter dieses TV-Genres. Sie hat in der inzwischen 16-jährigen Geschichte der Sendung auch wie keine andere das ganze Format geprägt – im Guten wie im Schlechten.

 

Stets das gleiche Setting

Doch nun geht es für die 57-jährige TV-Journalistin auf die Zielgerade: Anfang des Jahres teilte sie der davon durchaus überraschten Öffentlichkeit mit, Ende 2023 mit ihrem Talkformat „Anne Will“ abschließen zu wollen, um sich neuen Aufgaben zuwenden zu können. Voraussichtlich am späten Abend des 17. Dezember wird sie letztmals ihre vier oder fünf Gäste begrüßen, darunter, so lautet die Regel, zwei oder drei Politiker konkurrierender Parteien, eine weitere Journalistin und ein Wissenschaftler als (scheinbar) unabhängiger Experte. So hat sich das Setting über die Jahre herausgebildet, so ist es stilbildend geworden auch für die Konkurrenz. Und mittendrin die Moderatorin selbst, in den Händen ein Stapel von Karteikarten.

Dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich die Zeit nimmt, gleich nach ihrem wichtigsten Quotenbringer „Tatort“ eine ganze Stunde lang für eine intensive Diskussion zu einem aktuellen tagespolitischen Thema zu reservieren, ist zweifellos ein großes Verdienst. Offenbar kam nach Wills Abschiedsankündigung niemand in der ARD ernsthaft auf die Idee, man könnte ab Neujahr 2024 den Sendeplatz sonntags ab 21.45 Uhr grundsätzlich von Debatten befreien und stattdessen lieber das senden, was auch sonst in den „Anne Will“-Ferienpausen immer kam, nämlich irgendein importierter Auslandskrimi. Carmen Miosga soll vielmehr Will-Nachfolgerin werden; über das genaue Konzept wird noch diskutiert.

Ihr Gegner hieß Günther Jauch

Ihren eigenen Sendeplatz und ihren Erfolg musste Anne Will sich in der Vergangenheit gleich zweimal gegen einen Mann erkämpfen, und beide Male auch noch gegen denselben: Günther Jauch. Als die ARD-Polittalkpionierin Sabine Christiansen 2007 ihren Programmabschied nahm, wollten die ARD-Chefs eigentlich Jauch von RTL abwerben. Erst als dieser absagte, bekam die damals 41-jährige Sportjournalistin und „Tagesthemen“-Moderatorin Anne Will ihre Chance.

Um vier Jahre später, also 2011, gleich wieder von den ARD-Chefs brüsk auf den sehr späten Mittwochabend weggekegelt zu werden – Günter Jauch hatte sich in der Zwischenzeit entschieden, es doch mal mit dem Ersten versuchen zu wollen. Mit den öffentlich-rechtlichen Sendespielregeln wurde er allerdings nie recht warm, zog sich Ende 2015 wieder zurück zu RTL. Anne Will kehrte triumphal auf ihren alten Sendeplatz zurück und wurde erfolgreicher denn je.

Jeder spielt nur eine Rolle

Allerdings prägte sie über die Jahre auch jene Regeln, die das Genre inzwischen letztlich so unkreativ machen: Ihre Talkrunden sind inzwischen wie ein Theaterstück. Die Gäste werden eingeladen, um jeweils eine feste Position zu vertreten, eine Rolle zu spielen. Wer sich ohnehin im Lauf der Woche über das Thema der Sendung informiert hat, wird bei „Anne Will“ keinen einzigen Satz hören, der nicht zuvor längst anderswo zu hören war. Eine Zeit lang wurde bei „Anne Will“ gern immer mal wild durcheinandergeredet. Seitdem klar ist, dass TV-Zuschauer dies nicht schätzen, üben sich alle Talkteilnehmer in geradezu stoisch gelassenem Zuhören, wenn der Kontrahent redet.

Ist das alles noch eine authentische Auseinandersetzung, oder sind es doch nur inszenierte Scheingefechte? Zwischen diesen Polen hat sich Anne Will nun 16 Jahre bewegt. Von sich aus ein Ende zu finden zeigt zweifellos eine weitere persönliche Stärke von ihr. Da ist sie wieder mal „typisch Frau“; ihrem Kollegen Markus Lanz, um mal den Vergleich zu wagen, wird eine solche Selbstbegrenzung im Zweiten ganz sicher nie passieren. Letzte Runde für Anne Will: Die Zuschauer dürfen gespannt sein, wie sie im Dezember ihr Finale inszenieren wird. Und auch das Erste wird sich etwas Besonderes einfallen lassen müssen.

Anne Will: Sonntag, 21.45 Uhr, ARD