TV-Tipp: Finanzcrash-Doku „Inside Lehman Brothers“ Bloß keine Warnung vor dem faulen Traum

Die spannende Dokumentation „Inside Lehman Brothers“ auf Arte erzählt, wie Bankmitarbeiter, die sich gegen Betrug und Unregelmäßigkeiten wandten, vor der Pleite 2008 knallhart abserviert wurden.
Stuttgart - Ein Ethikkodex bei Lehman Brothers? Matthew Lee fand die Idee ursprünglich „funny“, weil noble Grundsätze den eigenen Geschäftspraktiken doch stark widersprochen hätten. „Wie eine Droge“ sei die Arbeit bei der Investmentbank gewesen, sagt Lee. Aber als dem damaligen Finanzvize von Lehman Skrupel kamen angesichts der Tricks, mit denen die Bilanz frisiert wurde, schrieb er mit Verweis auf den Kodex einen internen Brandbrief – und wurde gefeuert. Wenige Monate später war Lehman pleite.
„Ich wollte, ich hätte mehr getan“, sagt Lee, der heute auch nicht allzu viel tut. Er sitzt in seinem Wohnwagen im Nirgendwo, trinkt Kaffee, genießt die Aussicht. Sonst bereist er auf zwei Rädern die Welt, was dem Dokumentarfilm „Inside Lehman Brothers“ einige entspannende Reisebilder beschert. „Ich gehe nie wieder zurück nach New York“, sagt Lee gelassen. „Ich werde so lange mit meinem Motorrad herumfahren, wie ich nur kann.“
Vorm Platzen der Blase
Vor zehn Jahren löste die Bankenpleite internationale Schockwellen aus. Der Film von Jennifer Deschamps, eine französisch-finnische Koproduktion, erzählt vom Aufstieg und Fall von Lehman Brothers aus der Innensicht von Menschen, die wie Lee im Unternehmen Alarm geschlagen hatten und gekündigt oder aus dem Haus gemobbt wurden. Frauen wie Linda Weekes wurden gar bedroht und sexuell belästigt.
Die Prüferin Weekes entdeckte, dass in Kreditanträgen systematisch falsche Angaben gemacht wurden. Schließlich ging es in den Jahren vorm Platzen der Immobilienblase in den USA darum, so viele Hypotheken wie möglich zu verkaufen – auch Kunden ohne oder mit nur wenig Eigenkapital wurden Kredite aufgeschwatzt.
Mit umgeschnallter Pistole
Die Händler kassierten Provisionen und Kreditgebühren, die Hauskäufer waren nach wenigen Monaten überfordert. Im Jahr 2007, einem Rekordjahr für Lehman Brothers, stieg die Zahl der Zwangsräumungen enorm. Menschen, die eben noch ihren amerikanischen Traum in den eigenen vier Wänden leben wollten, hausten in Zeltlagern. „Jemand hat ihnen einen falschen Traum verkauft“, sagt Sylvia Vega-Lutfin, die von ihrer Kollegin Cheryl McNeil auf Unregelmäßigkeiten beim Verkauf von Hypotheken hingewiesen worden war, zum Beispiel auf Mitarbeiter einer Schnellimbisskette, die angeblich 7000 Dollar im Monat verdienten.
Während Ex-Vize Lee wie ein cooler Aussteiger inszeniert wird, ringen die Frauen mit existenziellen Sorgen. Cheryl McNeil verlor Haus und Auto und konnte ihrem Sohn dessen Wunschausbildung nicht mehr finanzieren. Sylvia Vega-Lutfin steht die Angst aus der Zeit des Mobbings bei Lehman noch ins Gesicht geschrieben – da hätte es die Szene mit der Pistole, die sie vor dem Joggen anschnallt, gar nicht gebraucht. Gemeinsam mit Linda Weekes klagen McNeil und Vega-Lutfin auf Schadenersatz, offenbar jedoch mit nur wenig Aussicht auf Erfolg.
Ein Boss namens Gorilla
Die persönlichen Schicksale verbinden sich im Film mit einem Wirtschaftskrimi. Als Ergänzung zu Archivbildern und Nachrichtenschnipseln gibt es hilfreiche Kommentare vom Chicagoer Anwalt Anton Valukas, der im Gerichtsauftrag einen 2200 Seiten starken Bericht über den Lehman-Bankrott verfasste, sowie vom ehemaligen Lehman-Juristen Oliver Budde, der die Börsenaufsicht vergeblich auf die von Managern verheimlichten Boni hinwies.
In einigen Ausschnitten ist auch der illustre Lehman-Boss Dick Fuld zu sehen, der den Spitznamen „Gorilla“ trug. Fuld wurde nie angeklagt und ist wieder in der Finanzbranche aktiv. Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite, erklärt eine Einblendung im Abspann, nehme der Handel mit „alternativen“ oder „nicht konventionellen“ Darlehen auf dem Hypothekenmarkt wieder rasant zu. Die Boni für die Wall-Street-Händler seien 2017 auf die Rekordzahl von 31 Milliarden Dollar gestiegen.
Ausstrahlung: Arte, 18.September, 20.15 Uhr, danach bis 16. Oktober in der Mediathek
Kleine Spielfilmauswahl zur Finanzkrise
Innensicht: Was war los in einer Großbank, als die Blase platzte? „Margin Call – Der große Crash“ (DVD bei Koch) schildert mit exzellenten Darstellern diese internen Vorgänge – bei Lehman Brothers, wie man allgemein deutet. Aber vielleicht ist der Film zynischer und erzählt von einem Geldhaus wie Goldman Sachs, das davonkam und nicht mit der Pleite bestraft wurde.
Außensicht: Die Krise war nicht zu ahnen? Von wegen, sagt Adam McKays auf Fakten basierender „The Big Short“ (Paramount): Ein paar Schlauköpfe von außen erkennen, was läuft, und ziehen Nutzen daraus. Die Vorgeschichte der Schwindelgeschäfte in den Achtzigern schildert Martin Scorsese in „The Wolf of Wall Street“ (Universal).
Serie: Wie skrupellos in Banken zehn Jahre nach dem Crash wieder gezockt wird, davon erzählt tough und böse die deutsche Serie „Bad Banks“ (Eye See).
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