Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk fordert für sein Land Anti-Panzer-Waffen, um Russland vor einem Angriff abzuschrecken.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)
Botschafter Melnyk, in der Ostukraine wird jeden Tag geschossen, doch die Verhandlungen über eine Lösung des Konfliktes scheinen ins Stocken geraten. Was ist der Grund?
Wir haben den Eindruck, dass Russland im Moment überhaupt kein Interesse an einer friedlichen Lösung hat. Offensichtlich ist, dass der Kreml auf Zeit spielt und darauf wartet, dass sich die Ausgangslage weiter verbessert, um die eigenen geopolitischen Ziele in der Ukraine mit Gewalt umzusetzen.
Wie sollte sich Russlands Lage verbessern?
In einigen wichtigen Ländern wird bald gewählt, zum Beispiel in Frankreich und Deutschland. Das sind ja zwei Staaten, die bei den Verhandlungen über den Frieden in der Ukraine eine Schlüsselrolle spielen. In beiden Ländern sieht es leider für die politischen Kräfte nicht schlecht aus, die Russland eher wohl gesonnen sind. Und dann dürfen wir natürlich die USA nicht vergessen, die sich mitten im Wahlkampf befinden. Russland spürt im Moment viel zu wenig Druck, die Vorgaben der Minsker Vereinbarungen umzusetzen – zum Beispiel die Entflechtung der Frontlinie oder Gewährleistung einer nachhaltigen permanenten Waffenruhe.
Könnte ein neuer Gipfel den Stein wieder ins Rollen bringen?
Womöglich wird es einen neuen Gipfel geben, aber was kann er im Moment bringen? Selbst Deutschland bleibt relativ zurückhaltend, da man in Berlin offensichtlich nicht das Gefühl hat, dass ein solches Treffen wirklich einen Durchbruch bewirken wird. Gespräche nur um der Gespräche willen bringen nichts – im Gegenteil. Das würde nur von russischer Seite instrumentalisiert, um zu zeigen, dass man doch über den Frieden rede. Geschehen würde aber nichts.
Alle diplomatischen Kräfte scheinen im Moment auf Syrien konzentriert. Überdeckt der Krieg dort den Konflikt in der Ukraine?
Das ist tatsächlich so. Syrien erleidet Bombardierungen, die brutaler und menschenverachtender sind als im Zweiten Weltkrieg. Es wäre inkorrekt und sogar zynisch, die Situation direkt zu vergleichen, aber was derzeit in der Ostukraine passiert, ist genauso schlimm wie in Aleppo. Was wir im ukrainischen Donbass erleben, ist ein genauso perfider – derzeit schleichender hinterlistiger – Krieg, aber es ist eben ein Krieg, der jeden Tag Opfer fordert. Wir glauben aber nicht, dass wir vom Radarschirm der deutschen Außenpolitik verschwunden sind. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist höchst persönlich sehr stark engagiert, sie setzt sich ein, um den Frieden herbeizuführen. Nur ein Beispiel: 2015 hat die Regierungschefin 36 Telefonate mit dem ukrainischen Präsidenten geführt, darunter auch viele im Dreier bzw. Vierer-Format mit Putin und Hollande. Seit Anfang des Jahres läuft diese intensive Telefon-Diplomatie ununterbrochen weiter. Leider ist das eine sehr mühsame Arbeit, die nicht immer von gewünschten Ergebnissen begleitet wird. Wir dürften aber nicht vergessen, dass die Wurzeln beider Konflikte – in der Ostukraine und Syrien - an einem Ort liegen. In beiden Fällen ist Moskau die treibende mörderische Kraft. Auslöser für beide Kriege ist eine Person, nämlich Putin, der die Akteure wie auf einem Schachbrett hin und her schiebt.
Wie erklären sie sich in beiden Fällen die Passivität des Westens?
Alle haben schlicht und einfach Angst vor einer Eskalation, einem echt großen Krieg, vor einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Nuklearmächten Russland und den USA. Diese Angst beeinflusst auch die Politiker, die in dieser Situation äußerst vorsichtig sind, keine falschen Schritte unternehmen und Russland nicht provozieren wollen.
Sie klingen sehr enttäuscht. Was erwarten Sie sich vom Westen?
Ich wünsche mir, dass nicht nur Tacheles geredet wird, sondern dass diese klaren Worte auch in konkrete Handlungen münden. Nehmen wir den Bericht über den Abschuss des Passagierflugzeuges MH17 über der Ukraine. Die Ergebnisse sind klipp und klar und weisen eindeutig in Richtung Russland, aber leider gab es in Deutschland nicht einmal verbale Reaktionen darauf. Es hieß im Auswärtigen Amt, man wolle die endgültigen Ergebnisse der Untersuchung abwarten. Das mag richtig sein, aber über die politische Verantwortung Moskaus kann – und muss -man schon heute reden. Man weiß ja schon, wo die Rakete herkam, die das Flugzeug getroffen hat, man weiß auch, dass sie vom russisch kontrollierten Gebiet gefeuert wurde. Die Schlussfolgerungen sind naheliegend. Logisch wäre also, die Sanktionen gegen den Kreml, der übrigens alle Untersuchungen der internationalen Gemeinschaft blokiert, ohne Zögern zu verschärfen, indem man z.B. ranghohe russische Politiker und Militärs auf die Liste der unerwünschten Personen setzt.
Sie sagen, die Menschen haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Wie groß ist die Gefahr einer Eskalation?
Die Gefahr ist in der Tat sehr groß. Russland könnte jederzeit versuchen, die Landbrücke auf die völkerrechtswidrig annektierte Krim herzustellen. An den Grenzen zur Ukraine und in den besetzten Gebieten sind rund 100 000 Soldaten stationiert, darunter über 40 000 auf der Krim, auch im ukrainischen Donbass stehen reguläre russische Truppen bereit. Russland könnte jederzeit angreifen. Die Deutschen sagen zwar immer wieder, die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation sei nicht so groß, Putin sei dazu nicht bereit. Das sehen wir ganz anders.
Was könnte Ihrer Ansicht nach Russland von einem Angriff abhalten?
Die Frage, die sich der Kreml stellt, lautet: Wie hoch wird der Preis sein? Je höher für Russland die Gefahr eigener schwerer Verluste ist, desto niedriger ist die Kriegsgefahr. So einfach lautet die Logik. Die Ukraine muss diesen Preis sehr hoch halten. Das heißt, wir müssen uns im Falle eines neuen massiven Angriffes entsprechend verteidigen können. Das schaffen wir aber kaum aus eigener Kraft, wir brauchen dazu nicht nur symbolische, sondern praktische Unterstützung von außen – auch von Deutschland.
Das heißt, die Ukraine will Waffen aus dem Westen?
Ja! Aber wir brauchen keine offensiven Waffen, wir wollen uns nur verteidigen können. Das heißt, wir benötigen zum Beispiel moderne Anti-Panzerwaffen und auch Luftabwehrsysteme. Wenn Putin wüsste, dass die Ukraine über solche rein defensive Waffen verfügen würde, die einen groß angelegten Panzervorstoß zum Erliegen bringen können, dann würde sowohl das die Sicherheit unseres Landes erhöhen, als auch das Risiko eines Krieges in Europa verhindern. Wir hoffen deswegen, dass die Bundesregierung dies erkennen und dementsprechend entschlossen handeln wird.