Man könnte ja denken, die Zeit der großen Verlegerfiguren sei vorbei. Im Großen und Ganzen mag das stimmen. Aber dann auch wieder nicht. Denn an diesem Freitag feiert das Literaturhaus Stuttgart das Doppeljubiläum einer der bemerkenswertesten Gründerpersönlichkeiten auf diesem Terrain: den 80. Geburtstag des Warmbronner Verlegers Ulrich Keicher und den 40. des von ihm ins Leben gerufenen Verlags. Vermutlich wäre der Geehrte, in dem sich schwäbische Charakteristiken auch sprachlich auf beglückendste Weise inkarnieren, der letzte, der sich in pompösen Bedeutsamkeits-Formeln wiederfinden würde. Denn der seinen Namen tragende Verlag lebt von der elementaren, schlichten Schönheit seiner Bücher, von denen jedes einzelne in der Regel durch die Hand des passionierten Buchmachers gegangen ist.
Gegründet wurde der Verlag 1983 mit einer Taschenbuchreihe im Schloss Scheer an der Donau. Drei Jahre später, schon in dem schönen Fachwerkhaus in Warmbronn, das bis heute Verlags- und Wohnsitz blieb, entstand die legendäre Reihe „Roter Faden“, schwarze Hefte, mit dem gebunden, was ihr den Namen gab. Das Prinzip dieser handwerklich sorgfältig gestalteten aufs Wesentliche konzentrierten Buchkunst zieht sich, auch nachdem der Faden seine Farbe gewechselt hat, durch die knapp 400 Titel, die hier entstanden sind.
Was aber ist das Wesentliche? Umschlag und Vorsatzblatt, erlesene Farben, ein harmonisches Druckbild? Oder sind die es die Autorinnen und Autoren, deren Werke so zur Geltung kommen? Eines bedingt das andere, so dass sich das Verlagsprogramm wie ein erlesener Querschnitt durch die jüngere Literaturgeschichte lesen lässt. Allein am roten Faden des Büchnerpreises finden sich: Sarah Kirsch, Band 57; Wolfgang Hilbig, Band 56; Volker Braun, Band 83; Elke Erb, Bände 119, 147, 166. Und ganz aktuell: Lutz Seiler, Band 148. Die Reihe ließe sich beliebig in die Vergangenheit und hoffentlich auch in die Zukunft fortsetzen.
„Es musste für mich mit den Autoren persönlich passen, aber an erster Stelle stand natürlich selbstredend der Text“, sagte Ulrich Keicher einmal, dessen Lebenswerk 2021 mit dem Kurt-Wolff-Preis geehrt wurde. Von dem Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld ist der Satz überliefert, sein Verlag verlege keine Bücher, sondern Autoren. Ulrich Keicher macht beides.
Info
Jubelfest
Der Abend zu Ehren Ulrich Keichers am 21. Juli im Literaturhaus Stuttgart beginnt um 18 Uhr. Unter den Gratulanten sind der Literaturkritiker Helmut Böttiger, Ulrich von Bülow, Leiter der Abteilung Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Dorothea Dieckmann, Journalistin und Autorin, der Lyriker Oswald Egger, die Dichterin Zsuzanna Gahse, der Schriftsteller und Übersetzer Joachim Kalka, der ehemalige Verleger und Lyriker Michael Krüger, der Journalist Ulrich Rüdenauer und der Dichter Henning Ziebritzki.