Mannheim erfindet sich auf 500 Hektar Militärgelände neu – und geht dabei ungewöhnliche Wege. Das Projekt ist eng verbunden mit dem Konversionsbeauftragten Konrad Hummel. Ein Besuch.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Mannheim - Mannheims Zukunft wird in einem schmucklosen Bürogebäude entwickelt. Dort, an der für die Quadratestadt typischen Anschrift D7, 27, residiert die MWSP, die Mannheimer Wohn- und Stadtentwicklungsgesellschaft. Die Aufgabe dieser Gesellschaft ist es, nicht weniger als 500 Hektar frei gewordene Militäranlagen einer zivilen Nutzung zuzuführen.

 

Konrad Hummel, Chef der MWSP, steht in seinem Büro vor einer großen Stadtkarte. Die hilft dem 65-Jährigen, den Überblick zu bewahren. Die 500 Hektar verteilen sich auf sechs Areale in Mannheim, die gut verstreut über das Stadtgebiet liegen. Eines davon, das im Nordosten der Mannheimer Gemarkung liegende Franklin Village, ist mit seinen 140 Hektar so groß wie die bestehende Innenstadt von Mannheim.

Vermitteln zwischen Investoren, Gemeinderat und Bürgerschaft

Dass Hummel kein Architekt, Stadtplaner oder Wirtschaftsförderer ist, sondern promovierter Sozialwissenschaftler sagt viel über die Herangehensweise, die die Verantwortlichen in der kurpfälzischen Residenzstadt gewählt haben. „Ich bin ein Überzeugungstäter der Bürgerbeteiligung“, charakterisiert sich Hummel selbst. Als ehemaliger Stadtrat in Fellbach und späterer Sozialdezernent in Augsburg weiß der gebürtige Esslinger aber auch, wie Verwaltung tickt. „Eigentlich bin ich hier Übersetzer“, sagt Hummel. Täglich gehe es darum, Investorendeutsch in die Sprache der Stadtverwaltung und die in verständliche Ausdrücke für die in der Bürgerbeteiligung engagierten Mannheimerinnen und Mannheimer umzusetzen.

Vor fünf Jahren eiste der SPD-Oberbürgermeister Peter Kurz seinen Parteifreund aus Berlin los, wo sich Konrad Hummel mittlerweile beim Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung verdingt hatte. Er wurde Konversionsbeauftragter in Mannheim, ein Jahr später Geschäftsführer der MWSP.

Die Stadtkasse wird geschont

Die Konstruktion, eine Projektgesellschaft zu gründen, sieht Hummel als einen der Erfolgsfaktoren des Mannheimer Vorhabens an. Getragen von der Stadt und der städtischen Wohnbaugesellschaft kann sich die MWSP am Kapitalmarkt mit Geld versorgen – ohne den Stadtsäckel zu strapazieren.

Und Geld braucht Hummel in großem Umfang. Drei der sechs ehemaligen Kasernenareale hat er mittlerweile der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) abgekauft. Ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag ist dafür über den Tisch gegangen. Der Stadtumbaumeister macht dabei kein Hehl daraus, dass sich das Tauziehen um die Flächen mitunter länger hingezogen hat, als es dem Rastlosen lieb ist. „Keine Kaserne haben wir unter anderthalb Jahren Verhandlungen gekauft.“

Und die Unterschrift unter dem Kaufvertrag heißt noch lange nicht, dass sich die MWSP konkret ans Vermarkten machen kann. Hummel erzählt die Episode, wie er am 13. September 2015 endlich einen Knopf an den Erwerb des bislang größten Einzelareals, des 140 Hektar großen Franklin Village im Nordosten der Stadt, machen konnte. Am 14. September 2015 erging der Vermarktungsstopp. Berlin hatte ein begehrliches Auge auf die leer stehenden Gebäude geworfen. Eine eigens aus der Bundeshauptstadt angereiste Delegation erklärte dem konsternierten Hummel, dort 40 000 Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen zu wollen. „Da wären uns natürliche alle Investoren abgesprungen.“ In langen Gesprächen gelang es den Mannheimern, für ihren Kompromissvorschlag zu werben: Einen Randbereich des Areals ließ die MWSP auf eigene Kosten herrichten, so dass 1500 Flüchtlinge dort eine vorübergehende Bleibe fanden, auf dem Rest aber die Verhandlungen mit potenziellen Bauherren unbeeinflusst weitergehen konnten.

In letzter Minute überlegen es sich die Amerikaner anders

Zu diesem Zeitpunkt war Hummel bereits Querschüsse aller Art gewohnt. So entschieden sich die amerikanischen Streitkräfte kurz vor ihrem Auszug, die Coleman Barracks, das größte Einzelareal, weiter zu nutzen. So stehen nun im Mannheimer Norden wieder Panzer – mittlerweile wieder von der sandfarbenen Tarnung für den Afghanistaneinsatz auf die europäische Variante in verschiedenen Grüntönen umgespritzt. Und selbst jetzt, wo Hummel, der zum Jahresende in den Ruhestand geht, das Konversionsprojekt auf der Zielgeraden sieht, passiert Unvorhergesehenes. So muss der Geschäftsführer während des Interviews mit der Stuttgarter Zeitung noch rasch 2000 Euro bewilligen, weil auf einer der Baustellen eine mittelalterliche Leiche gefunden wurde, die geborgen sein will. „Diese Aufgabe ist das Komplexeste, was ich in meiner gesamten beruflichen Laufbahn gemacht habe“.

Vier Hochhäuser bilden das Wort HOME

Im nächsten Jahr sollen die ersten Bewohner ins Franklin Village einziehen. Am Ende werden dort 4000 Wohnungen zur Verfügung stehen, davon 680 im geförderten sozialen Wohnungsbau. Nicht nur das soll die Durchmischung sicherstellen. Auch dass die Fläche nicht en bloc an einen Entwickler gegangen ist, sondern 20 Investoren unterschiedlichster Couleur zum Zuge gekommen sind, ist Hummel wichtig. Alle mussten sich auf das sogenannte Franklin-Zertifikat verpflichten – ein Lastenheft, das Ansprüche an die Preisgestaltung der Wohnungen, die soziale Durchmischung des angestrebten Kundenkreises, an ökologische Belange, die Architektur und die Energieeffizienz der Vorhaben formuliert. Monatlich trifft sich die Projektgesellschaft mit den Investoren zu Gesprächen.

Teilweise werden die Gebäude saniert, teilweise plattgemacht. Ein grüner Hügel, in dem sich ein Nahversorgungszentrum versteckt, markiert den Mittelpunkt des Quartiers. Die Anordnung der Straßen und ihre Namen bleiben erhalten, eine neu gebaute, quergelegte „Europaachse“ zerschneidet aber Straßenzüge wie auch Gebäude und bricht so zumindest ein wenig mit der Struktur eines Kasernengeländes. Zudem sollen vier Hochhäuser entstehen, die die Buchstaben H-O-M-E nachzeichnen.

Initiativen machen Front gegen die Pläne

Natürlich gibt es auch Mannheimer, die von den grundlegenden Veränderungen in ihrem direkten Umfeld nicht begeistert sind. An den Gartenzäunen der kleinen Siedlung Beim Teufelsberg, die am Rande der Kaserne liegt, künden Plakate vom Unmut der Anlieger über das Vorgehen der MWSP. Für den überzeugten Bürgerbeteiliger Hummel muss sich das anfühlen wie eine kleine Niederlage. Lieber erinnert er daran, dass die Projektgesellschaft zu Beginn des Prozesses 1000 Bürgerideen gesammelt hat. „Und wir haben sie alle gleichermaßen ernst genommen.“ Auch den gewagten Ansatz, im topfebenen Mannheim auf einer der Flächen ein Pumpspeicherwerk zu bauen. Erst nach eingehender Prüfung ist die Vision verworfen worden.

Lernen mussten alle Seiten. Der Gemeinderat etwa, dass er nicht in allen Details Herr des Verfahrens ist, und der Rathauschef, dass ihm unerwartete Bekenntnisse abgerungen werden. „Bei der ersten Bürgerversammlung habe ich zum Oberbürgermeister gesagt, dass wir das anders machen, als es zu erwarten wäre.“ Also kein frontaler Vortrag, was sich die Gewaltigen im Rathaus ausgedacht haben, sondern das ehrliche Bekenntnis, vor einer großen Aufgabe mit ungewissem Ausgang zu stehen. „Das war so etwas wie organisierte Ratlosigkeit“, sagt Hummel verschmitzt. Eine gewagte Strategie, die aufzugehen scheint.