Autonomie, wie sie jetzt die Regionalregierung Kataloniens fordert, ist ein legitimer Anspruch. Separatismus wäre indes ein Rückschritt, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Spanien ist eine Atempause vergönnt im Konflikt mit den rebellischen Katalanen. Deren Anführer Carles Puigdemont hat die Kraftprobe mit der Zentralregierung in Madrid vertagt. Seine Chronik einer angekündigten Spaltung des Landes ist vorerst gestoppt. Er hat das Ziel der Unabhängigkeit nicht aus den Augen verloren, setzt aber vorerst auf Dialog, nicht auf weitere Eskalation. Ob der Separatist aus staatsbürgerlicher Verantwortung handelt, aus Furcht vor den Folgen der eigenen Tollkühnheit oder aus schlichter Vernunft, mag dahingestellt bleiben. Der Aufschub bedeutet eine Chance für alle Beteiligten. Er verpflichtet Madrid zu einem Minimum an Konzilianz und Entgegenkommen. Sofern es einer Mediation mit ausländischer Hilfe bedürfte, wäre das eine Schmach für die Regierung Rajoy und den König.

 

Selbstbestimmung ist ein zentrales Prinzip des Völkerrechts

Die auf Unabhängigkeit bedachten Katalanen pochen nicht völlig ohne Grund auf Selbstbestimmung – ein zentrales Prinzip des Völkerrechts. Weitgehend akzeptiert ist das für viele Fälle, in denen sich Kolonien vom Joch der Herrschaft imperialer Mächte befreit haben. Aber Katalonien ist nicht Kuba. Und es lässt sich auch nicht mit dem Kosovo vergleichen, dem jüngsten Beispiel einer (umstrittenen) staatlichen Verselbstständigung in Europa.

Sobald Minderheiten innerhalb bestehender Staaten eigene Souveränität beanspruchen, gerät das Völkerrecht in ein Dilemma. Das Grundprinzip der Selbstbestimmung lässt sich nicht in einen Freibrief für Separatisten übersetzen. Katalonien ist ja kein Einzelfall. Auch andere europäische Regionen streben nach mehr Autonomie: Schottland, die Lombardei, Flandern und Korsika. Würde dieses Bestreben jeweils auf Sezession hinauslaufen, könnte das den gesamten Kontinent destabilisieren. Separatistische Tendenzen bringen die Architektur der Weltordnung ins Wanken. Das zeigt das Beispiel der Kurden im ohnehin explosiven Nahen Osten. Die Emanzipation der Katalanen von spanischer Oberhoheit birgt im schlimmsten Fall das Risiko eines Bürgerkriegs mitten in Europa.

Katalonien hat eine weitreichende Selbstverwaltung

Dies wäre für sich genommen noch kein Argument gegen ein selbstständiges Katalonien. Schwerer wiegt der Vorwurf, hier werde die Geschichte für eigennützige Zwecke instrumentalisiert. Bei den Aufwallungen im Zeichen gelb-rot gestreifter Senyera-Flaggen handle es sich um einen postfaktischen Nationalismus, der sich historisch nicht begründen lasse. Gewiss, die Franco-Diktatur hat jegliche Autonomie unterdrückt. Madrid verweigert sich noch heute einem vernünftigen Dialog mit den eigenwilligen Katalanen. Doch die Zeiten, als deren Muttersprache an Schulen tabu war, sind vorbei. Der Region an der Costa Brava wird eine weitreichende Selbstverwaltung zugestanden.

Die Separatisten holen weit aus, um ihre Souveränitätsansprüche herzuleiten. Virulent wurden diese allerdings erst in einer Zeit allgemeiner Verunsicherung. Die Finanzkrise schürte den Unmut über ökonomische Ungleichwichte in Spanien und Transferleistungen zulasten Kataloniens. Die Globalisierung weckt allerorten Sehnsüchte nach Identität und Abschottung.

Kleinstaaterei ist jedoch eher hinderlich für eine Politik, die über den Tellerrand enger Horizonte hinausblicken will. Es bleibt ja ein historischer Fortschritt, dass sich aus Duodezfürstentümern größere staatliche Einheiten formierten und es inzwischen politische Plattformen gibt, um nationale Egoismen zu überwinden. Es wäre geradezu ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet in Europa, wo die Vision von einer Politik ohne Grenzen entstand, neue Grenzen gezogen würden.