Nach einem Unfall zählt jede Minute, doch die Ärzte versichern: Hektik bricht keine aus. In Deutschland steigen wegen der guten Zusammenarbeit der Rettungskräfte die Überlebenschancen. Nun nehmen Ärzte auch die Lebensqualität der Patienten in den Blick.

Frankfurt/Main - Drei Männer sind bei einem Unfall bei Deckenpfronn (Kreis Böblingen) schwer verletzt worden – ein 22-Jähriger schwebt in Lebensgefahr. Wie die Polizei berichtet, überholte der 22-Jährige mit seinem VW einen 21 Jahre alten Fiat-Fahrer in einer Kurve. Anschließend kamen die Autos von der Straße ab und überschlugen sich. Der VW-Fahrer wurde aus dem Auto geschleudert. Der Fiat krachte gegen einen Baum. Mit lebensgefährlichen Verletzungen wurde der 22-Jährige mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik geflogen. Der 21 Jahre alte Fiat-Fahrer und sein Beifahrer wurden schwer verletzt.

 

Diese Polizeimeldung kann man auf der Homepage dieser Zeitung neben vielen weiteren dieser Art lesen. Weltweit kommen 1,24 Millionen Menschen im Jahr wegen eines Verkehrsunfalls ums Leben, sagen Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In den Entwicklungsländern steigt die Zahl stetig, in Deutschland hingegen wurde ein historischer Tiefstand erreicht. Dies liegt vor allem an der medizinischen Versorgung: Nach WHO-Angaben stirbt ein lebensgefährlich verletzter Mensch in einem Land mit einem niedrigen Einkommen in 36 Prozent der Fälle, in einem Land mit hohem Einkommen dagegen in weniger als zehn Prozent der Fälle.

In Deutschland wird die Versorgung von Schwerverletzten immer besser, in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist es den Unfallchirurgen gelungen, die Sterblichkeit bei Schwerverletzten von 20 auf 9,9 Prozent zu senken. Im Jahr 2012 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3600 Menschen. „In kaum einem anderen Land funktioniert die Rettungskette so professionell wie in Deutschland“, sagte Bertil Bouillon, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) beim zweiten weltweiten Traumakongress in Frankfurt, zu dem kürzlich 1600 Unfallchirurgen aus 80 Ländern gekommen waren. Einer der Gründe für die positive Entwicklung seien bessere Strukturen: Rund 600 Kliniken arbeiteten in 45 regionalen Trauma-Netzwerken zusammen. Diese Kliniken werden in regelmäßigen Abständen von der DGU zertifiziert. „Heute hat jeder Schwerverletzte in Deutschland unabhängig vom Unfallort die gleiche Chance, eine gleich gute Versorgung zu bekommen“, berichtete Bouillon.

Die Computertomografie dauert im Schnitt nur 21 Minuten

Zudem seien die Ausstattung der Kliniken verbessert und die Abläufe optimiert worden, erklärte Reinhard Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt. „In Krankenhausserien im Fernsehen wird die Behandlung eines Schwerverletzten immer sehr hektisch und chaotisch dargestellt. Ärzte, Rettungssanitäter und Pflegpersonal rennen durcheinander, es wirkt organisationslos“, sagte Hoffmann. In der Realität sei das Gegenteil der Fall. Die Rettungskette gleiche einem gut geprobten Staffellauf, der bereits am Unfallort beginne. Die Rettungssanitäter übernehmen die Erstversorgung des Verletzten und geben Informationen über den Zustand des Betroffenen an die Klinik weiter. Dabei ist nicht nur die körperliche Verfassung wichtig, sondern auch der Zustand des Autos: Hat es sich zum Beispiel überschlagen? Gibt es Tote und weitere Verletzte?

In der Klinik wird der Patient in den sogenannten Schockraum gebracht und dort von verschiedenen Ärzten übernommen. Jeder im Notfallteam hat eine klare Aufgabe. Der Anästhesist ist für die lebensnotwendigen Körperfunktionen verantwortlich und prüft etwa, ob die Atemwege frei sind. Der Chirurg erfasst die Gesamtstabilität des Patienten, Blutungen, Brüche oder Verletzungen der inneren Organe. In allen zertifizierten Kliniken steht ein Computertomograf (CT) im Schockraum, so dass sich das Notfallteam schnell ein Bild vom Zustand des Patienten machen kann. „Heute dauert es im Schnitt 21 Minuten, bis von einem Patienten ein Trauma-CT gemacht wird, zu Beginn des Jahrtausends waren es noch 40 Minuten“, erklärte der Frankfurter Chirurg den Fortschritt in deutschen Kliniken. Mit dem Ganzkörper-CT sei eine effektive Diagnostik vom Scheitel bis zur Sohle möglich – in kurzer Zeit. Dies spare im Notfall lebensrettende Minuten. Zudem könne man damit bereits im Schockraum mit der Behandlung beginnen, so Hoffmann.

Die gute Erstversorgung in Deutschland führt nun dazu, dass sich die Unfallchirurgen nicht nur um das Überleben ihrer Patienten kümmern. Künftig wollen sie auch die Lebensqualität im Blick haben. Dies soll bundesweit in einem bereits bestehenden sogenannten Traumaregister aufgenommen werden. Dabei sollen die Betroffenen nach sechs und zwölf Monaten sowie nach zwei Jahren nach ihrem Befinden befragt werden. Dabei geht es nicht nur um körperliche Aspekte wie die Fitness. Vielmehr soll auch die psychische Komponente bewertet werden: Hat der Betroffene den Unfall und die nachfolgende Behandlung und Genesung gut oder schlecht verarbeitet? Auch soziale Aspekte sollen erfasst werden. Schließlich ist das Leben nach dem Unfall erheblich beeinträchtigt, wenn man als Folge davon beispielsweise nicht mehr arbeiten kann.