Moritz Wagner steht mit der University of Michigan im Final Four um die Basketball-Collegemeisterschaft. Der Wurf des 2,11-Meter-Hünen aus der Nachwuchsschule von Alba Berlin erinnert an Dirk Nowitzki. Im Sommer könnte der 20-Jährige den Sprung in die Profiliga NBA vollziehen.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Sie ist 98 Jahre alt, Nonne und trägt eine lässige Collegejacke zu ihren Basketball-Schuhen mit der Aufschrift „Sister Jean“. Schwester Jean, die mit vollem Namen Jean Dolores Schmidt heißt, ist der neuste Medienliebling in den USA. Sie ist wie über Nacht von einer lokalen zu einer nationalen Kultfigur aufgestiegen, zur Sportheiligen, zum Darling der Nation. Ob „New York Times“ oder „USA Today“, alle großen Zeitungen haben ihr jüngst eine Story gewidmet, es werden T-Shirts mit ihrem Abbild und ihren Sprüchen produziert, Ex-Präsident und Basketball-Fan Barack Obama gratulierte ihr via Twitter.

 

Schwester Jean, früher selbst Spielerin und Trainerin, ist die Teamseelsorgerin der Loyola University aus Chicago, die es mit ihr völlig überraschend bis ins Final Four um die Collegemeisterschaft im Basketball in San Antonio geschafft hat. Im 70 000 Zuschauer fassenden Alamodome wird die charismatische 98-Jährige am Samstag vor dem Halbfinale wieder zwischen all den langen Korbjägern der größten Jesuiten-Universität der USA stehen und in einer kurzen Predigt mit taktischen Anweisungen um Gottes Segen sowie faire Schiedsrichterpfiffe bitten – und um den nächsten Überraschungssieg des Außenseiters.

Bundestrainer Henrik Rödl hält viel von Moritz Wagner

Moritz Wagner hat etwas dagegen. Der Berliner ist mit der University of Michigan der Halbfinalgegner von Schwester Jean und ihren Jüngern. Er kann als sechster Deutscher aus „March Madness“ (März-Wahnsinn), wie die oft unberechenbaren Play-offs der US-Collegemeisterschaft im K.-o.-System mit den anfangs 64 besten Unimannschaften des Landes genannt werden, als Titelgewinner hervorgehen.

Henrik Rödl zählt zu den fünf Spielern, denen das gelungen ist. 1993 triumphierte er mit der University of North Carolina, heute ist er Bundestrainer. Er verfolgt den Weg von Moritz Wagner, den er in seiner vorherigen Funktion als U-20-Nationalcoach betreute, genau. Er hat zuletzt alle seine Partien angeschaut, ist stetig über WhatsApp mit ihm in Kontakt. „Er ist auf jeden Fall jemand, den wir sehr genau beobachten. Er ist ein Mann mit sehr viel Zukunft, der sicher früher oder später auch in der Nationalmannschaft berücksichtigt wird“, sagt Henrik Rödl über den talentierten 2,11-Meter-Hünen.

Ein großer Spieler vom Typus Dirk Nowitzki

Bei der U-20-Europameisterschaft im vergangenen Sommer (Platz sieben) war Moritz Wagner mit 16,1 Punkten im Durchschnitt der beste deutsche Werfer und siebtbester insgesamt. Der 20-Jährige ist ein großer Spieler moderner Prägung, Typus Dirk Nowitzki. Sein Revier ist nicht gemäß der ursprünglichen Positionsbeschreibung für einen Power Forward oder Center ausschließlich unter dem Brett, sondern er trumpft auch fern des Korbes auf.

Er ist sehr beweglich, ein guter Dribbler und hat ein feines Händchen für Distanzwürfe – besonders auch von jenseits der Dreipunktelinie. Seine Wurfbewegung erinnert dabei stark an die von Dirk Nowitzki, dem er sie nachempfunden hat. „Moritz ist sehr flexibel und sehr schwer zu decken“, sagt Bundestrainer Henrik Rödl. „Er hat eine unglaublich positive Energie. Er ist jemand, der immer gewinnen will und immer Spaß an der Sache hat.“

Ein Video von dem Berliner macht im Internet die Runde

Moritz Wagner stammt aus der Schule von Alba Berlin. Er durchlief alle Nachwuchsteams, wurde 2014 deutscher U-19-Meister und schaffte den Sprung in den Profikader. Doch statt für den direkten Einstieg als Berufsbasketballer entschied der damals 18-Jährige sich nach dem Abitur 2015 dazu, studieren zu gehen – in Michigan, an einer der bedeutendsten Sportunis der USA. Nach einem ersten Jahr mit nur wenig Spielzeit gelang ihm in der Saison 2016/17 der Durchbruch mit durchschnittlich 12,1 Punkten in 23,9 Minuten, in der laufenden Runde steigerte er sich auf 14,3 Punkte in 27,3 Minuten – jeweils mit einer famosen Dreierquote von knapp 40 Prozent. Er hat sich zum Eckpfeiler des Teams und Führungsspieler entwickelt; Michigan-Coach John Beilein bezeichnet ihn als „Alphatier“, lobt seinen Trainingsfleiß und seine Kritikfähigkeit.

Gerade auch in den Play-offs erregte Moritz Wagner Aufsehen. Nach dem 64:63 in letzter Sekunde gegen Houston machte ein Video von ihm im Internet die Runde, in dem er sich aus der stürmischen Jubelarie seines Teams ausklinkt, um einen gegnerischen Spieler zu trösten. Nach zwölf Punkten in dieser Begegnung erzielte er beim 99:72-Achtelfinalsieg gegen Texas A&M 21 Zähler, im Viertelfinale gegen Florida State (58:54) waren es zuletzt abermals zwölf.

Wagner-Festspiele in den USA

Der nächste Akt folgt am Samstag; das Finale steigt am Montag. „Ich drücke ihm die Daumen“, sagt Bundestrainer Henrik Rödl. „Er ist auf einem sehr guten Weg – ich bin gespannt, was im Sommer passiert.“ Dann könnte Moritz Wagner den Sprung in die nordamerikanische Profiliga NBA vollziehen, für deren Teams er sich mit seinen guten Auftritten zuletzt immer attraktiver gemacht hat. Doch zunächst einmal warten Schwester Jean und ihre Jünger auf ihn.