Erneut muss die Uni Stuttgart Gebäude wegen Sicherheits- oder Baumängeln schließen. Die Bausubstanz ist in die Jahre gekommen. Der Unirektor spricht von einem „Verwaltungsmonster“.
Die Fensterrahmen der beiden Hochhäuser des Naturwissenschaftlichen Zentrums (NWZ) der Uni Stuttgart sind in erbarmungswürdigem Zustand. Das Holz ist an manchen Stellen völlig vermodert. Dabei gehören die in den 1970er Jahren errichteten Bauten zum Herzstück der Uni auf dem Vaihinger Campus. Er bietet Platz für mehr als 10 000 Mitarbeiter und Studierende aus den Fakultäten Mathematik und Physik sowie der Chemie und der Biologie. Doch Forschen und Studieren wird dort zunehmend schwieriger.
„Bei uns in den Laboren funktionieren manche Sachen nicht so, wie sie sollten: zum Beispiel Vakuumpumpen, wenn man in der organischen Chemie Flüssigkeiten voneinander trennen muss“, berichtet die angehende Chemielehrerin und Mitglied der Studierendenvertretung Jolanda Lehmann.
Chemieversuche im Schichtbetrieb
Es gibt noch weitere Einschränkungen. „In manchen Laboren funktioniert nur die Hälfte der Abzüge“, sagt die Lehramtsstudentin. Das bedeute bei Experimenten, dass jeder länger warten müsse: „Einer führt’s durch, vier gucken zu.“
Das Problem ist seit Jahren bekannt: der Universitätsleitung, dem Unibauamt, dem Finanzministerium. Versuche in der Chemie müssten dann eben „im Schichtbetrieb“ erfolgen, berichtet Unirektor Wolfram Ressel. Bereits vor zehn Jahren sei die Techniksanierung des NWZ beschlossen worden – „da kriegen Sie keine Ersatzteile mehr“, so der Rektor.
Sanierung ein „Verwaltungsmonster“
Noch vor fünf Jahren glaubte Ressel den Sanierungsstau und den damit verbundenen Innovationsstau für überwunden und präsentierte damals dem Unirat und Senat stolz die anstehenden Projekte des Masterplans: nämlich die Sanierung des „in die Jahre gekommenen Naturwissenschaftlichen Zentrums“, für die von 2018 bis 2030 insgesamt 650 Millionen Euro veranschlagt seien.
„Das ist das größte Bauprojekt des Landes, das in nächster Zukunft umgesetzt wird“, jubilierte der Rektor damals. Heute spricht er von einem „Verwaltungsmonster, das kaum noch handelbar ist“ und von „Prozessen, die sich über Jahre ziehen“. Immer wieder schöben sich Maßnahmen hinaus. Auch beim NWZ.
Komplizierte Logistik
„Wir sind mitten in der Untersuchungs- und Planungsphase“, erklärt Carmen Zinnecker-Busch, die das Unibauamt seit einem Jahr leitet. Die Sache sei komplex. Schon in den vergangenen Jahren hätte mit der Sanierung des Chemiehochhauses begonnen werden sollen, in drei Abschnitten, bei laufendem Betrieb. Doch die Physiker nebenan hätten dann ihre Forschung in Gefahr gesehen, denn die vertrage kein Baustellengerumpel.
Nun erwäge man eine Rochade: Die Rede ist von zwei Ersatzneubauten für die Physik für einen „niedrigen, dreistelligen Millionenbetrag“, denn ein Interim sei bei deren Laborinfrastruktur zu aufwendig, so Zinnecker-Busch. Der Bauantrag sei schon eingereicht. Erst wenn der Physikneubau fertig sei, könne das Physikhochhaus leer geräumt, in den Rohbauzustand versetzt und saniert werden. Mit der Sanierung solle „am Ende der 2020er-Dekade“ begonnen werden.
Noch offen sei, ob die Chemie dann in das sanierte Physikhochhaus umziehe oder im bisherigen Gebäude bleibe und abschnittsweise saniert werde. An Abriss denke man nicht. Es seien „eigentlich gute Raumstrukturen“, so Zinnecker-Busch. Das belege auch eine Machbarkeitsstudie. Insgesamt bearbeite das Unibauamt auf dem Campus Vaihingen derzeit 109 Baumaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 982 Millionen Euro.
Ressel schwebt vor, dass ins freie, sanierte Chemiehochhaus dann die versprengten Maschinenbauinstitute aus der Stadt einziehen und eine gemeinsame Heimat in Vaihingen bekommen könnten. Neue Gebäude müsse man für die Biologie bauen, die derzeit noch im Physikhochhaus untergebracht ist. Die Mathematik solle als Interim im ehemaligen Telekom-Areal unterkommen.
Fundament weggebrochen
Handlungsbedarf besteht auch bei dem erst 20 Jahre alten Informatikgebäude. Ressel spricht von „gewaltigen Baumängeln“. Aufgrund des quellenden Anhydritbodens sei bei dem Hörsaal in der Mitte das Fundament gebrochen. Offenbar habe man dies bei der Statik nicht berücksichtigt. Nun sei der Hörsaal gesperrt. „Das ganze Gebäude bewegt sich, da ist nichts mehr im Lot“, so der Rektor.
Bei den Toiletten sei der Türrahmen gebrochen, die Fensterrahmen seien verzogen. Nun stelle sich die Frage: „Abreißen und aufstocken oder sanieren? Dann bräuchten wir ein zweites Gebäude.“ Denn es fehlten 15 000 Quadratmeter, auch wegen der vielen neuen Professuren im Rahmen von Cyber Valley. Und es gebe ein logistisches Problem: „Wo kriegen wir in der Zwischenzeit die Fakultät untergebracht?“ Für die Studierenden bedeutet das schon jetzt: Lehrveranstaltungen müssen ausweichen, Verschiebungen im Stundenplan, längere Wege, berichtet Matthias Ehrhardt, der Vorsitzende der Studierendenvertretung. Das Schlimmste sei, „dass da seit Jahren nichts voran geht“.
Marode Elektrik
Das fuchst auch den Rektor. Zumal es noch weitere Problemfälle gibt. Etwa in der Luft- und Raumfahrttechnik das Institut für Aerodynamik und Gasdynamik. „Da müssen wir ein Gebäude dichtmachen“, so Ressel. Laut Tüv Rheinland dürfe der Betrieb dort ohne Elektrosanierung nicht weiterlaufen. Nun suche man eine Ausweichliegenschaft.
Ein weiteres Sorgenkind ist die Unibibliothek in der Stadtmitte, die zum Leidwesen der Studierenden nur sehr eingeschränkt benutzt werden kann. Für diese hatte die Uni schon vor mehr als zehn Jahren eine Generalsanierung beantragt. Dazu kam es aber nicht. Jetzt prüft das Unibauamt ein Gesamtkonzept für ein Wissenschaftszentrum, das Uni Stuttgart, Hochschule für Technik und Duale Hochschule gemeinsam bespielen wollen.