Gewaltsame Streiks, Armut und ausufernde Korruption machen dem Land am Kap zu schaffen. Staatschef Jacob Zuma redet die Krise aber klein. Seine Regierungspartei ANC ist so tief gespalten wie noch nie zuvor.

Johannesburg - Am Kap der Guten Hoffnung kehrt zumindest ein Teil der wild streikenden Bergarbeiter in die Schächte zurück. Die Minenkonzerne geben zu verstehen, dass sie die Kündigungen Zigtausender von Kumpels noch einmal überdenken könnten, und die Regierung tut, als ob in den vergangenen zehn Wochen so gut wie nichts geschehen sei.

 

In Wahrheit ist die Krise, von der Präsident Jacob Zuma nichts wissen will, alles andere als vorbei: Die Bergwerksunternehmen haben Produktionsverluste von 900 Millionen Euro zu verkraften. Die Chefin des weltweit agierenden Konzerns Anglo-American, Cynthia Carroll, gab bereits ihren Rücktritt bekannt. Internationale Kreditratinginstitute stuften Südafrika um eine Kategorie zurück, andere Abwertungen könnten bald folgen. Der Rand stürzt ab, ausländische Investitionen brechen ein. „Trauriges Südafrika“, titelte der Economist besorgt: Der Staat befinde sich „im schlimmsten Zustand seit 1994“.

Polizei handelte mit unangemessener Härte

Nicht nur an der Wirtschaftsfront kriselt es, auch politisch steht der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) so schlecht wie seit seiner Machtübernahme vor 18 Jahren nicht da. Kurz vor einem entscheidenden Parteitag ist die Regierungspartei so tief gespalten wie noch nie zuvor, dem ANC und den mit ihm verbündeten Gewerkschaften kommen die Wähler und Mitglieder abhanden. Und eine Kommission, die die Vorgänge um das „Massaker von Marikana“ untersucht, bei dem die Polizei Mitte August 36 Bergarbeiter erschoss und 78 weitere verletzte, bringt immer mehr unangenehme Wahrheiten an den Tag. Falls es sich nicht sogar um „vorsätzliche Morde“ oder regelrechte „Exekutionen“ handelte, wie die Anwälte der getöteten Kumpels unterstellen, so hat die Polizei zumindest mit gänzlich unangemessener Härte auf die Aktionen der Streikenden reagiert, wie sich inzwischen herausstellt.Präsident Zuma ist über die Lage immerhin dermaßen besorgt, dass er den südafrikanischen Club der Auslandskorrespondenten gestern um ein Gespräch bat: Seit Jahren hatten die Journalisten vergeblich versucht, den Staatschef für ein Treffen zu gewinnen. Die Botschaft, die Zuma transportiert sehen will: Alles ist höchstens halb so schlimm, wie die Journalisten jüngst berichteten.

Unglücklicherweise gab sein eigener Stellvertreter in einem Interview mit der Financial Times am selben Tag bekannt, dass sich Südafrika an einem „tipping point“, am Scheideweg, befände – eine „unglückliche Stellungnahme“, wie der Präsident seinen Vize Kgalema Motlanthe kritisiert. Der Hintergrund der Plänkelei: Motlanthe schickt sich an, beim Parteitag im Dezember gegen Zuma als Parteichef zu kandidieren und sich damit auch als künftiger Staatschef zu positionieren.

Die Apartheid sei Schuld an allem

Ob Zuma die sich abzeichnende Schlacht gewinnen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob er die Krise tatsächlich klein zu reden vermag. Welche Krise?, fragt der 70-jährige Politiker: Weder die anhaltenden, wilden Streiks noch die an Schärfe zunehmenden Auseinandersetzungen in der eigenen Partei stellten eine Gefahr dar. Es handele sich vielmehr um Anzeichen einer funktionierenden Demokratie – der Beweis, dass sich Südafrika „bei der Arbeit“ befinde, so Zuma. Genau das Gegenteil wird seiner Regierung derzeit vorgeworfen: Dass sie in ihrer wichtigsten Aufgabe versage – die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich zumindest allmählich kleiner werden zu lassen. Der Staatschef macht, wie üblich, die Apartheid für diese Kluft verantwortlich: „Warum werden die Sünden unserer Vorgänger uns in die Schuhe geschoben?“

Ausweichend reagiert Zuma auch auf die Vorwürfe, wonach es führenden ANC-Politikern eher um eigene Bereicherung, als um das Wohl der mittellosen, schwarzen Bevölkerungsmehrheit gehe: „Ich glaube nicht, dass die Korruption erst 1994 begann. Ich verbringe einen Großteil meiner Zeit damit, Untersuchungen über angebliche Fälle von Korruption in die Wege zu leiten.“

Er selbst geriet in diesem Zusammenhang jüngst einmal mehr in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass für seine Privatvilla weit mehr als 20 Millionen Euro an Steuermitteln aufgewendet werden sollen, um das Anwesen „sicher“ zu machen – obwohl der Präsident bereits über drei sichere offizielle Residenzen im Land verfügt. Der Aufwand sei nicht auf seine Initiative zurückzuführen, rechtfertigt sich Zuma: Er sei vielmehr von den Sicherheitsexperten seiner Administration angeordnet worden.