In England wird aufgeregt debattiert: Sollen Asylsuchende in bessere Gefängnisse gepfercht werden? Oder auf einen Wohnkahn gesetzt, der laut Feuerwehr zur „Todesfalle“ werden könnte?

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Nichts läuft, wie es von der britischen Regierung geplant war, für die in England anlandenden Bootsflüchtlinge. Nachdem ein hohes Gericht bereits die Deportation von Asylbewerbern nach Ruanda untersagt hat, stößt Innenministerin Suella Braverman nun auch auf Widerstand, wenn es um die Unterbringung der Geflüchteten auf der Insel geht.

 

Auf der just im Hafen von Portland bereit gestellten riesigen Barkasse Bibby Stockholm zum Beispiel können vorläufig keine Flüchtlinge einquartiert werden, weil die Sicherheitsbehörden den schwimmenden Wohnblock als potenzielle „Todesfalle“ betrachten, sollte auf dem Schiff ein Feuer ausbrechen. Auch die Baracken eines stillgelegten Luftwaffenstützpunkts in der Grafschaft Lincolnshire können vorerst nicht benutzt werden, solange niemand gefunden wird, der die dortigen Sicherheitsüberprüfungen übernimmt.

„Grausam“ und „unmenschlich“

Ein weiteres verlassenes Militärgelände, rund um ein ehemaliges Flugfeld in Essex, hat sich bereits wenige Tage nach der Ankunft der ersten Asylbewerber als ein Hotspot für Krätze, Tuberkulose und Skorbut erwiesen. Für Gesundheitskontrollen vor der Einweisung fehlte offenbar das Geld.

„Grausam“ und „unmenschlich“ haben 50 britische Wohlfahrtsverbände die Behandlung der Flüchtlinge genannt, die von Ministerin Braverman allesamt als „illegale Migranten“ eingestuft werden. Anwohner der drei staatlichen Sammelstätten haben diese gegenüber Reportern mit Kriegsgefangenenlagern verglichen, die „niemandem zumutbar“ sind.

Rund 45 000 Menschen sind 2022 in Booten über den Ärmelkanal gekommen

Hintergrund der erneuten Aufregung ist die große Zahl der Menschen, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal von Frankreich nach England übersetzen. Rund 45 000 waren es im vorigen Jahr. Dieses Jahr könnten es 55 000 werden. August, September und Oktober dürften dabei wieder die hektischsten Monate am Kanal sein.

Weil sich aber die Bearbeitung der Asylanträge in Großbritannien hinschleppt und gegenwärtig über 160 000 Anträge unbearbeitet sind, hat die Regierung 50 000 Menschen in Hotelzimmern und Herbergen unterbringen müssen. 5000 Zimmer werden zusätzlich bereitgehalten, „falls es eng wird dieses Jahr“. Vorsorglich sind inzwischen in Kent, unweit der Hafenstadt Dover, auch spezielle Zeltlager mit Großraumzelten errichtet worden, in denen bis zu 2000 Asylsuchende aufgenommen werden sollen, wenn es nötig wird.

Prinzipiell will die Tory-Regierung Flüchtlinge in Frankreich von der Überfahrt nach England gern „abschrecken“. Das war bereits die zentrale Idee einer Massen-Deportation von Ankömmlingen nach Afrika. Ob diese Idee gesetzeskonform ist, prüft derzeit der Supreme Court, Großbritanniens Oberstes Gericht.

Zugleich wollen Premierminister Rishi Sunak und Ministerin Braverman den „Anschein“ vermeiden, dass „illegalen Migranten“ irgendwelcher Komfort zuteilwird. Statt in Hotelzimmern sollen die Betreffenden darum nun in Zelten, Militärbaracken und auf Wohnkähnen wie der Bibby Stockholm untergebracht werden. Der Einsatz weiterer Barkassen dieser Art ist geplant.