Im September kam es im Schlossgarten zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss sind gegensätzlich.

Stuttgart - Im Untersuchungsausschuss des Landtags gehen die Meinungen über den Polizeieinsatz am 30. September noch immer weit auseinander. Fast scheint es so, als hätten sich an jenem Tag die Beteiligten – hier die Protestierenden, dort die Polizisten – nicht am selben Ort befunden. Davon zeugt exemplarisch die jüngste Sitzung des Untersuchungsausschusses.

Der Stuttgarter Krimiautor Wolfgang Schorlau hatte sich schon am Vormittag des 30. September zur Schülerdemonstration aufgemacht, um nach Stoff für ein neues Buch zu suchen. Kaum hatte er sein Fahrrad in der Lautenschlagerstraße abgestellt, sah er die Jugendlichen in den Schlossgarten stürmen. Schorlau folgte ihnen – und erlebte nach eigenen Worten einen Albtraum. "Ich bin noch immer schockiert." Er beobachtete Polizisten in Zivil, deren Tun er nur so deuten konnte, dass sie die Jugendlichen mittels Wegschubsen in eine Schlägerei verwickeln wollten, um "Bilder der Gewalt" zu erzeugen. Auch von weiteren "Exempeln polizeilicher Gewaltanwendung" wusste er zu berichten: Faustschläge, Pfefferspray auf Demonstranten, der gesundheits-, wenn nicht lebensgefährdende Wasserbeschuss auf Jugendliche, die auf Bäumen saßen. Eine ältere Frau sei von einem Wasserstrahl von den Beinen gerissen worden. Schorlau selbst bekam einen Schlag auf den Hinterkopf.

Eine andere Zeugin sagte, sie habe keine körperlichen Angriffe auf Polizisten wahrgenommen, "nur reflexhafte Abwehrbewegungen". Die Menschen seien einfach da gewesen. Angriffe von Polizisten auf Demonstranten habe sie sehr wohl gesehen.

"Die Gewalt ging von der Szenerie aus"


Ganz anders erlebte eine junge Polizistin von der Bereitschaftspolizei den Schlossgarteneinsatz. Sie gehörte einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit an und zählte zu den ersten Uniformierten, die in den Schlossgarten einliefen. Sie sollte mit ihren Kollegen just jenen Beamten in Zivil zu Hilfe kommen, von denen Schorlau aussagte, dass sie ganz unnötigerweise die Jugendlichen provozierten. Von einem friedlichen Protest, sagte die Polizistin, könne keine Rede sein. Schon beim Aufmarsch seien die Polizisten angeschrien worden, "die Leute liefen in uns rein". Geschrei, Thrillerpfeifen, Vuvuzelas, Beleidigungen den ganzen Tag. "Marionetten" seien sie geheißen worden, "Kinderschläger", "Kinderschänder", "Arschlöcher" – und immer wieder die"Schämteuch"-Rufe.

Sie selbst habe Schläge gegen die Brust abbekomme und Tritte gegen das Schienbein, "vor allem von Personen, die hinter den riesigen Planen standen". Ihr Truppführer sei von Demonstranten gegen einen Baum gedrückt worden, ein anderer Kollege habe einen Tritt gegen den Kopf erlitten, am Gitterwagen kam es zum Pfeffersprayeinsatz, weil ansonsten ihre Kollegen "unter das Fahrzeug gedrückt worden wären". Das Wegtragen von Blockierern habe sich als sinnlos erwiesen: "Die haben sich hinten angestellt und wieder hingesetzt." So etwas, berichtete die Polizistin, habe sie noch nie erlebt: "Dass ich zu einer Demo komme und jeder, wirklich jeder war gegen uns, die 70-Jährige genauso wie der 40-Jährige oder die Jugendlichen."

Der Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock sagte: "Die Gewalt ging nicht von den Demonstranten aus, sie ging nicht von den Polizisten aus, die Gewalt ging von der Szenerie aus." Die Polizei sei einer Fehleinschätzung unterlegen: "Es handelte sich um die Aufstellung eines Bauzaunes, es ging nicht um Fragen der nationalen Sicherheit." Die Polizei sei zu martialisch aufgetreten. "Wer solche Mittel heranführt und benutzt, der kann gar nicht mehr zurück." Der CDU-Abgeordnete Ulrich Müller bemerkte: "So unterschiedlich kann man die Wirklichkeit wahrnehmen."