Beate Siegel aus Auenwald ist nicht nur Naturpädagogin und Naturparkführerin, sondern auch eine geprüfte Pilzsachverständige. Vom Frühjahr bis zum ersten Frost ist sie auf Achse, denn dann haben ihre Lieblinge Saison.

Auenwald - Den Winter mag Beate Siegel nicht. Denn in der kalten Jahreszeit kann die 49-jährige Pilzsachverständige ihre Lieblinge – den flockenstieligen Hexenröhrling, den oft fußballgroßen Riesenbovist, den schmackhaften Steinpilz oder das „wunderbar glibberige Kuhmaul“ – allenfalls in Büchern finden. Ein Glück, dass die nächste Pilzsaison bereits im Frühjahr beginnt. Dann zieht die Frau aus Auenwald wieder mit dem Korb los – in den Wald oder auf die Wiesen, oft in Begleitung ihres Katers Luke.

 

Manchmal muss Beate Siegel noch nicht einmal ins Grüne, um fündig zu werden: „Im Frühling habe ich in einem Beet vor der Welzheimer Volksbank vier Kilo Morcheln geerntet.“ Der dort ausgebrachte Rindenmulch ist laut Siegel ein ideales Substrat, eine wunderbare Nahrung, für Morcheln. Andere Pilze lieben Laub, wieder andere totes oder auch lebendes Holz.

Letzteres trifft etwa auf den Hallimasch zu. Der Pilz mit dem hübschen braunen Hut ist daher bei Förstern und Waldbesitzern nicht sehr beliebt. „Wenn man den im Wald hat, dann hat man nichts zu lachen“, sagt Beate Siegel. Gleiches gilt häufig auch für den Fall, dass man den Hallimasch im Magen hat. Der Pilz trägt den Zweitnamen „Hall im Arsch“, weil er bisweilen eine durchschlagende Wirkung entfalten kann.

Der Hallimasch heißt auch „Hall im Arsch“

Eigentlich sei der Hallimasch essbar, erklärt Beate Siegel – dennoch reagierten viele Menschen allergisch auf ihn. Weil das auch bei anderen Vertretern der Art so ist, werde inzwischen mancher Pilz als ungenießbar eingestuft, der vor einigen Jahren noch als Speisepilz gehandelt worden sei. „Egal welchen Pilz man isst – er kann für den einen ein Speisepilz sein, für den anderen nicht. Ein Kollege von mir sagt: ,Ein Speisepilz ist ein Giftpilz, dessen Wirkung noch nicht nachgewiesen wurde’“, sagt Beate Siegel.

Sie selbst hat schon Teilnehmern eines Seminars zum Abschluss ein leckeres Steinpilzgericht serviert und am darauffolgenden Tag einen Anruf vom Hausarzt einer Mitesserin erhalten, welche massive Magen-Darm-Probleme hatte. Nach einer Schrecksekunde jedoch war klar, dass da kein ungenießbares Exemplar im Topf der Sachverständigen gelandet war. Die erkrankte Frau hatte schlicht noch niemals im Leben Steinpilze gegessen – und war offenbar allergisch dagegen.

Seit Beate Siegel bei einem Restaurantbesuch einmal einen Gallenröhrling aus den Steinpilzen gefischt hat, überlegt es sich die Fachfrau zwei Mal, ob sie anderen Sammlern vertraut. Angesichts von mehr als 5000 unterschiedlichen Arten ist es aber auch schwer, den Überblick zu behalten. Besonders tückisch sind essbare Pilze, die einen ungenießbaren oder gar giftigen Doppelgänger haben. Wer das leckere graue Schwefelköpfchen mit dem grünen verwechselt, den erwartet lediglich eine bittere Enttäuschung. Für den, der statt des Stockschwämmchens den sehr ähnlichen Gifthäubling isst, kann das hingegen schlimme Folgen haben, denn der Pilz enthält große Mengen des Gifts Muscarin, das schon nach kurzer Zeit Wirkung zeigt.

Der „Schwiegermutterpilz“ führt zu Nierenversagen

Bei dem spitzgebuckelten Raukopf, der auch „Schwiegermutterpilz“ heißt, sei das anders, erzählt Beate Siegel: Das darin enthaltene Gift könne erst Tage oder gar Wochen nach dem Verzehr zu einem Nierenversagen führen.

Sitzen an einem Pilz Schnecken oder Maden – Beate Siegel spricht bei letzteren von „mobilen Proteinen“ – so ist das kein Zeichen dafür, dass ein Pilz essbar ist: „Eine Schnecke verträgt die tausendfache Giftdosis wie ein Mensch.“ Auch eine Geschmacksprobe kann in die Irre führen oder sogar tödlich enden. „Überlebende des grünen Knollenblätterpilzes sagen, der schmeckt hervorragend“, erzählt Beate Siegel, „aber nur fünf bis zehn Gramm reichen aus, um ein Kind zu töten. Bei Erwachsenen liegt die tödliche Dosis bei rund 50 Gramm.“

Im Jahr 2011 hat die Naturpädagogin und Naturparkführerin ein dreitägiges Pilzseminar gemacht. „Da hat es mich regelrecht erwischt“, sagt Beate Siegel heute. „Nach dem Kurs konnte ich 15 Arten sicher bestimmen. Und mir war klar, dass ich sofort das nächste Seminar brauche.“ Zwei Jahre hat sie sich intensiv mit der Welt der Pilze befasst und dann eine dreiteilige Prüfung bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) absolviert. Seitdem darf sie den Titel Pilzsachverständige führen – ihre zwei Söhne haben deshalb im Scherz vorgeschlagen, ein Schild mit der Aufschrift „Aktive Sterbehilfe“ neben der Haustür zu befestigen.

Beim Bestimmen von Pilzen sei nicht nur das Auge, sondern auch die Nase gefragt, sagt die 49-jährige Sachverständige, die sich regelmäßig fortbildet: „Der gelbe Knollenblätterpilz riecht nach Kartoffelkeller, der Rosa Rettichhelmling nach Rettich und der Brätling nach Hering – oder der Hering riecht nach Brätling.“

Pilze seien weder Pflanzen noch Tiere, sondern eine eigene Art, sagt Beate Siegel: „Sie gehören aber eher zur Tier- als zur Pflanzenwelt. Deshalb sage ich Vegetariern immer, sie sollen sich gut überlegen, ob sie Pilze essen wollen.“ Der gelbe Knollenblätterpilz zum Beispiel enthalte ein Gift, dessen sich auch Kröten bedienten. Anders als Tiere und Pflanzen hätten Pilze keine Lobby, klagt Beate Siegel. „Wenn man sie schützen will, dann sollte weniger gedüngt werden, denn Pilze lieben nährstoffarme Böden.“ Doch auch jeder Spaziergänger kann seinen Teil beitragen, indem er Pilze nicht zertritt, sondern wachsen lässt, auf dass sie ihre Sporen streuen können und der Bestand gesichert ist. Dieses Jahr war ein ertragreiches Pilzjahr – mal sehen, was das nächste bringt.


Fachliteratur
Unerfahrene Sammler sollten sich unbedingt mit Fachliteratur versorgen. Dabei gilt: im Buch sollten der Aufbau eines Pilzes beschrieben und Fachbegriffe erklärt werden. Auch eine kleine Baumkunde macht Sinn, denn je nach Sorte wachsen Pilze in der Nachbarschaft zu bestimmten Bäumen. Pilze sollten niemals in Plastiktüten gesteckt, sondern in einem Korb gesammelt werden.