In Mössingen und in Lichtenstein am Fuße der Schwäbischen Alb mussten Anwohner nach heftigen Bergrutschen evakuiert werden. Und auch nach dem Ende des großen Regens ist die Lage immer noch unsicher.

Mössingen - Die Rollläden sind unten, die Carports leer, auf den Terrassen stehen Zimmerpflanzen: die Landhaussiedlung am Fuße des Albtraufs in Mössingen-Öschingen (Kreis Tübingen) ist verlassen. Alle 15 Häuser sind nach dem gewaltigen Erdrutsch am Sonntagnachmittag evakuiert worden. Der Dauerregen hatte einen Hang zum Rutschen gebracht, wie Streichhölzer knickten Bäume und schoben sich mit den Geröllmassen zu Tal. Wie ein Geisterdorf sieht es jetzt hier aus, rot-weiße Absperrungen verweisen auf Lebensgefahr und halten Schaulustige fern.

 

Nur bei Familie Hahn ist Bewegung, sie zieht vorsorglich aus: Ein Lastwagen parkt vor der Tür, Helfer verladen Umzugskisten und Möbel. „Wir haben die Sorge, dass wir später gar nicht mehr in unser Haus reinkommen“, sagt Brigitte Hahn und trägt einen Kinderpuppenwagen aus dem Haus. „Wir brauchten eine Lösung und ziehen zu Bekannten.“ In Hahns Elternhaus von 1964, das schick renoviert und erweitert wurde, sind starke Risse sichtbar. Wird das Haus oder das ganze Grundstück für unbewohnbar erklärt? Ist das Gebäude einsturzgefährdet? Brigitte Hahn weiß es nicht. Die Versicherung ist benachrichtigt, sie will einen Gutachter schicken. Die Hausbesitzerin hofft auf eine Wende hin zum Guten: „Ich ziehe lieber wieder ein statt aus.“

Mit Spiegeln wird beobachtet, wie der Berg noch rutscht

Wie ein Schwamm hat das Kalkgestein oberhalb von Öschingen den Dauerregen der vergangenen Wochen aufgesogen, auf Tongestein begann es zu rutschen. Und immer noch schiebt der Berg: An elf Punkten haben Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks mit Hilfe von Geologen kleine Spiegel in der Siedlung angebracht, mit denen die Erdbewegung vermessen wird. „Wir hatten von Montag auf Dienstag noch eine Verschiebung von zehn Zentimetern“, sagt Markus Reinhardt vom THW Viernheim. Erst in der Nacht zu Mittwoch habe sich die Bewegung beruhigt. Ein Dutzend Helfer der Mössinger Feuerwehr, des THW und des Roten Kreuzes hält rund um die Uhr Stallwache in der verlassenen Landhaussiedlung, opfert zum Teil den Urlaub.

In der Mössinger Stadtverwaltung ist man noch etwas ratlos, was man den Evakuierten sagen soll. Für Freitag ist eine Information angesetzt, erst dann trauen die Geologen sich eine verlässliche Aussage zu. „Die Natur muss erst wieder in ihr Gleichgewicht finden. Laut Geologen dauert es vier bis sieben Tage, bis der Berg sich ganz beruhigt hat“, sagt Uwe Walz, Pressesprecher der Stadt Mössingen. „Natürlich ist das alles tragisch für die Anwohner.“ Die meisten der 29 Evakuierten seien bei Bekannten oder Verwandten in Mössingen untergekommen, wenige seien im Hotel. Die Öschinger hätten sich „wahnsinnig hilfsbereit gezeigt“, sagt Brigitte Hahn.

Mit Bergrutschen ist man in Mössingen schon fast vertraut. Im April 1983 ereignete sich hier im Ortsteil Talheim die größte Katastrophe dieser Art seit 100 Jahren in Baden-Württemberg – allerdings in einem unbewohnten Waldgebiet am Hirschkopf. Heute weisen Touristenschilder auf den Bergrutsch hin, das „Geotop“ ist mit Wanderwegen und Infotafeln so gut aufbereitet worden, dass es vor wenigen Jahren einen Preis der Akademie der Geowissenschaften in Hannover erhielt. Im Jahr 1983 rutschten nach vierwöchigem Dauerregen – ein Drittel der Jahresniederschlagsmenge der Region – vier Millionen Kubikmeter Erde und Geröll am Hirschkopf zu Tal. Die seien acht Millionen Tonnen schwer, hatten Geologen errechnet. Es dauerte damals zwei Wochen, bis die Erdmassen dauerhaft zum Stillstand kamen, eine Urlandschaft von 50 Hektar war neu entstanden. Aber auch der jüngste Bergrutsch von Öschingen ist kein Einzelfall. „Wir hatten dieser Tage noch vier kleinere Bergrutsche“, berichtet Mössingens Pressesprecher, aber alle seien in unbewohnten Gebieten gewesen.

„Nachrutschungen“ drohen

Da die Gefahr noch nicht ganz gebannt ist, sind die Straßen von Belsen nach Beuron und von Öschingen nach Gomaringen noch geschlossen, auch rund um die Bergrutsche sind die Wald- und Feldwege abgesperrt: Es könne zu „Nachrutschungen“ kommen, sagt Walz. Aber mit jedem trockenen Tag werde die Lage besser.

Schicksalsgenossen der Mössinger finden sich in Lichtenstein im Kreis Reutlingen, wo eine Erdlawine ebenfalls mehrere Häuser bedrohte, 24 Menschen wurden dort evakuiert. „Momentan stehen die Zeichen auf Entspannung“, sagt der Bürgermeister Peter Nußbaum. Wasser am Hang oberhalb der Häuser sei abgeleitet worden. Auch Nußbaum hofft auf Sonne satt.