Käsemacherin Sieglinde Dosser bürstet ihre Laibe. Das hilft gegen Fremdschimmel-Befall. Foto: TV Schenna/Klaus Peterlin
Mit mehr als einer Million Übernachtungen im Jahr zählt Schenna bei Meran zu den beliebtesten Zielen deutscher Touristen in Südtirol. Wir haben in Schenna fünf Menschen getroffen, die sich mit altem Handwerk in der Gegenwart behaupten.
Peter Trapmann
27.03.2024 - 17:00 Uhr
3000 Einwohner, mehr als eine Million Übernachtungen von Feriengästen pro Jahr – das klingt nach industriell gefertigter Erholung. Doch in Schenna, oberhalb von Meran auf einer natürlichen Terrasse rund 300 Meter über dem Etschtal gelegen, weiß man das Individuelle und Handgemachte (wieder) zu würdigen. Man baut Getreide in abenteuerlichen Lagen an, verarbeitet höchst nachhaltig alte Kletterseile zu quietschbunten Geldbörsen oder filzt wie einst die Großmutter, und zwar schicke Hipster-Beutel.
Wer Sieglinde Dosser besuchen will, wenn ihr Arbeitstag beginnt, muss früh aufstehen. Um 5 Uhr steht sie in ihrer kleinen Käserei auf dem Boarbichl-Hof in 1200 Meter Höhe über Schenna. Es ist dunkel, es ist kalt, die Sterne funkeln. Aber Sieglinde Dosser ist wieder mal hellwach. 2005 hat sie mit ihrem Mann den abgewirtschafteten Hof gekauft, komplett saniert. Erst haben sie die Milch ihrer Kühe in die Sennerei gefahren, bis sie gemerkt haben: bringt nichts. Da hat Sieglinde Dosser gelernt, wie man aus Milch Käse macht.
Schmuggler-Luis oder Rebell? Die Käse von Sieglinde Dosser beim Reifen Foto: TV Schenna/Ramona Neulichedl
Jetzt landet die Milch, die das hofeigene Grauvieh gibt, im Käsekessel. „Der hat so viel gekostet wie ein Mittelklassewagen“, erinnert sich die 54-Jährige noch immer leicht erschrocken, während sie Lab in den Kessel schüttet, das die 120 Liter Milch gerinnen lässt. Die Investition hat sich gelohnt: Am Ende reifen im Käsekeller regalweise leckere Laibe, die unter lyrischen Bezeichnungen wie Schmuggler-Luis oder Rebell im Hofladen und auf Wochenmärkten verkauft werden.
Hohe Ziele
Es geht noch höher. Auf der Taseralm in 1450 Meter Höhe ist Josef Gamper (55) zu Hause. Sein Projekt: Getreide in Steillagen anzubauen. Das gab es hier oben seit 1971 nicht mehr. „Warum soll das heute nicht gehen, wenn es früher ging?“ Dass es heute nicht mehr in Handarbeit geht, weil es keine vielköpfigen Großfamilien mehr gibt, wurde ihm bald klar. Seitdem träumt er wie Daniel Düsentrieb von einer eigens entwickelten Maschine, einem Mini-Mähdrescher für die Vertikale, der die Ernte einfährt.
Josef Gamper beim Brotbacken auf der Taseralm Foto: Tourismusverein Schenna/Foto: Georg Mayr
Mithilfe von EU-Geldern, privaten Investoren und Wissenschaftlern wurde ein Prototyp entwickelt, dem es aber noch an Serienreife gebricht. Gamper bleibt dran. „Die Maschine kannst du an Bergbauern in ganz Österreich und der Schweiz verkaufen.“ Er hofft auf eine Ernte von sieben bis acht Tonnen. Später mal.
Bis es so weit ist, erntet er bescheiden und beschwerlich rund 500 Kilo Dinkel und Roggen, backt damit sein eigenes Brot und unterhält seine Feriengäste mit launigen Anekdoten.
Alles so schön bunt hier
Corona ist schuld. Als es nichts zu kaufen gab, nicht mal Stoffreste, Rita Unterthurner ihrem Freund aber was Selbstgebasteltes schenken wollte, kam ihr die Idee: „In der Not habe ich einfach eines von seinen Kletterseilen zerschnitten und überlegt, was man daraus basteln könnte.“ Es wurde ein Portemonnaie, auf Schwiegermutters Nähmaschine mit flottem Zickzackstich zusammengenäht aus der typisch bunten Nylonhülle, die bei einem Kletterseil die Einzelfäden im Inneren umschließt. Das Geschenk kam gut an, wurde rumgezeigt – und löste weitere Nachfrage aus.
Wir waren mal Kletterseile: Bunte Börsen Foto: TV Schenna/Julia Stachitz
Bald reichte das häusliche Reservoir an alten Kletterseilen nicht mehr aus. Inzwischen greift die 32-Jährige, die im familieneigenen Hotel Fernblick Höfler eigentlich gut ausgelastet ist, auf alte Kletterseile des örtlichen Alpenvereins oder der Feuerwehr zurück, um die Nachfrage befriedigen zu können.
Die Produktpalette hat sie erweitert um Laptoptaschen, Magnesiumsäckchen und Schlüsselanhänger im charakteristischen Kletterseil-Look.
Rita Unterthurner an ihrer Nähmaschine Foto: TV Schenna/Julia Stachitz
Verfilzt
Seifen in Filz einwickeln und für 16 Euro verkaufen, was soll das denn? „Der Peeling-Effekt ist großartig“, verspricht Monika Kienzl in ihrem kleinen Atelier Alpin Art. Die gelernte Goldschmiedin entdeckte Filz zunächst als Bestandteil ihrer Schmuckstücke und kam von der gekämmten und gewaschenen Schafwolle nicht mehr los. Heute entstehen neben den Seifenpäckchen Pantoffeln, Schuhe, Jacken, Sitzkissen und Kissenbezüge aus Filz.
Filzkünstlerin Monika Kienzl in ihrer Werkstatt Foto: AHM/Jessica Thalhammer
Die 54-jährige Uhrmacher-Tochter hat einen sicheren Blick für die gekonnte Verknüpfung von Tradition und Chic. Ihre Taschen und Rucksäcke, die sie aus Wolle und reißfestem, wasserabweisenden Papier produziert, sind absolut metropolentauglich. Es muss nicht immer Lastwagenplane sein.
Selber keltern
Unterwegs mit Karl Egger (52) auf dem neuen Apfel- und Weinwanderweg von Schenna. Die Runde startet im Dorfzentrum, führt durch beste Südwest-Steillagen, Tafeln informieren über den Anbau heute und gestern. In der Geschichte von Karl Egger und seiner Familie bündelt sich vieles vom Aufstieg Südtirols von der armen Bauernheimat zum Tourismus-Wunderland.
Karl Egger im Weinberg. Zum guten Wein wird Schüttelbrot gereicht. Foto: AHM/Jessica Thalhammer
Eggers Großvater kaufte 1958 das Weingut Innerleiter, das Egger heute bewirtschaftet. Der Beherbergungsbetrieb kam bald hinzu, „der erste in Schenna mit Schwimmbad“, wie Egger nebenbei, aber stolz erzählt. Bis 2011 lieferte er seine Trauben in der Genossenschaft ab, dann eröffnete Egger seine eigene Kellerei. 20 000 Flaschen verkauft er jetzt im Jahr, hauptsächlich Weiß- und Blauburgunder. Das Weingut mit Hotel – und einem Pool natürlich – ist heute ein liebevoll gepflegtes Schmuckstück – und beweist: Handarbeit lohnt sich.
Schenna
Anreise Mit der Bahn geht es von Stuttgart mit zweimal umsteigen in rund sieben Stunden nach Meran. Viele Hotels bieten einen Taxi-Service an. www.bahn.de
Unterkunft Als einfache Ferienpension einst Tourismus-Pionier, heute eines der besten Häuser im Ort: Das Vier-Sterne-Superior-Hotel Hohenwart mit Wellness-Angeboten und ambitionierter Küche, DZ ab 346 Euro, www.hohenwart.com/de Innerleiterhof, Weingut mit Hotel, etwas unterhalb des Ortszentrums, DZ ab 172 Euro, www.innerleiterhof.it Taser Alm, an der Bergstation der Seilbahn, sehr familientauglich, mit bäuerlichem Betrieb und Bergzoo, DZ ab 1540 Euro/Woche, www.taseralm.com
Essen und Wandern Mahdalm, auf 2000 Meter Höhe gelegen, nach leichter Wanderung und mithilfe der Seilbahn gut zu erreichen, toller Ausblick, typische Südtiroler Küche