Der Massenmörder Anders Breivik ist verurteilt. Für seine Anschläge hat das Gericht ihn zu 21 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt. Jetzt ist es Zeit, ihn zu vergessen, meint StZ-Korrespondent Hannes Gamillscheg.

Oslo - Anders Breivik, der rechtsradikale Massenmörder, ist als zurechnungsfähig betrachtet und verurteilt worden. Er muss seine Verbrechen im Gefängnis verbüßen, nicht in der Psychiatrie. Es mag die Richter gereizt haben, ihn für verrückt zu erklären, als Popanz einzustufen und nicht als politischen Täter, um ihm damit die ultimative Niederlage zuzufügen. Denn Breivik war es vor allem darum gegangen, den Stempel „unzurechnungsfähig“ zu vermeiden. Doch die Vernunft behielt die Oberhand. Natürlich sind Breiviks feige Taten und ist seine hirnrissige Argumentation jenseits jeder Rationalität. Doch die akribische Art, wie er das Massaker vorbereitet hatte, und die Kaltblütigkeit, in der es durchführte, geben keinen Anhaltspunkt, ihn als schizophren und psychotisch einzustufen, wie dies im ersten rechtspsychiatrischen Bericht getan wurde.

 

Das bedeutet für Breivik Verwahrung in der eigens für ihn eingerichteten Spezialabteilung im Ila-Gefängnis für zunächst 21 Jahre, das Höchstmaß des norwegischen Gesetzbuchs. Er dürfte jedoch kaum je wieder auf freien Fuß kommen. Gelangen die Richter im Jahr 2032 (ein Jahr U-Haft wird Breivik gutgeschrieben) zu dem Schluss, dass Wiederholungsgefahr besteht und der Täter immer noch gemeingefährlich ist, können sie die Strafzeit um jeweils fünf Jahre verlängern, notfalls bis zu seinem Tod. Das ist zwar in Norwegen noch nie geschehen, doch das Land hatte auch noch nie mit einem 77-fachen Mörder zu tun.

Breivik rückt für kurze Zeit wieder in den Mittelpunkt

Am Tag des Urteils rückte wieder Breivik in den Mittelpunkt, nachdem die Tage davor vom Nachbeben eines Kommissionsberichts geprägt waren, der schwere Versäumnisse der Behörden bis hoch zur Regierungsspitze vor, während und nach dem Massaker anprangerte. Dass man die Forderung, die Zufahrtsstraßen zum Regierungsviertel zu sperren, jahrelang vernachlässigt hatte, weil ein Terrorangriff als allzu unrealistisch galt, trug ebenso zum Ausmaß der Katastrophe bei wie das Versagen der Polizei, die Breivik erst Richtung Utøya entkommen ließ und dann dort viel zu spät entschlossen reagierte.

In der kommenden Woche wird sich Ministerpräsident Jens Stoltenberg im Parlament in einer Sonderdebatte der Kritik stellen müssen. Die wichtigste Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger zu schützen, stellte die Kommission fest. Dies sei den Verantwortlichen misslungen. Jetzt gibt es Rufe nach dem Rücktritt des für sein Auftreten nach den Anschlägen hoch gelobten Premiers. Es wäre fatal, wenn er dem Ruf folgte: den Sturz der sozialdemokratischen Regierung würde sich Breivik, der diese als Erzfeind sieht, als Sieg an seine Fahnen heften. In der Bevölkerung hat Stoltenberg weiterhin Rückhalt, und es ist nicht so, dass sich die Norweger jetzt unsicherer fühlen als vor dem 22. Juli 2011. Rückkehr zur Normalität ist eine abgenützte Phrase, und sie wird den Gefühlen der vielen nicht gerecht, die von dem Massaker persönlich betroffen sind. Doch Stoltenbergs erste Versicherung, dass die Antwort auf die Attentate mehr Offenheit und mehr Demokratie sein müsse, findet immer noch Anklang. Norwegen ist kein Land im Ausnahmezustand, sondern trotz aller Mängel ein demokratisches Musterland.

Es gibt viele, die eine Mitverantwortung für das Massaker tragen, aber es gibt nur einen Schuldigen, und das ist der Mörder. Jetzt, da das Urteil so ausfiel, wie der Täter es sich wünschte, besteht die Hoffnung, dass Norwegens größter Mordprozess damit abgeschlossen ist. Vor allem für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer wäre dies eine große Erleichterung. Breivik will sich weiter zu Wort melden, er will mit angeblich Gleichgesinnten Netzwerke knüpfen, er hat Pamphlete angekündigt und seine Memoiren. Es gibt nicht den geringsten Grund, diesen Ergüssen Publizität zu geben. Breivik ist verurteilt, jetzt ist es an der Zeit, ihn zu vergessen.