Das Gericht bewertet eine Ankettung zweiter junger Frauen bei einer Protestaktion gegen Stuttgart 21 streng: Es sei Widerstand gegen Beamte gewesen.

Stuttgart - E

 

rst hatten sich die beiden Stuttgart-21-Gegnerinnen Nina Picasso und Myriam Rapp am 13. Januar 2012 aus Protest gegen den Abriss des Südflügels an einem Fenstergitter des Hauptbahnhofs mit Bügelschlössern angeschlossen; dann hatten sich die beiden Frauen am 15. Februar im Mittleren Schlossgarten an einen Baum festgekettet. Ein gutes Jahr nach diesen beiden Aktionen ist die S-21-Gegnerin Nina Picasso für ihren Widerstand nun zu einer Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro verurteilt worden. Myriam Rapp soll nach dem jetzt gefällten Urteil des Amtsgerichts Stuttgart 1000 Euro zahlen.

Laut der Vorsitzenden Richterin haben die beiden Frauen mit ihrer Ankettung Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet. Das Gericht folgte mit seinem Urteil den von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler in seinem Plädoyer vorgebrachten Argumenten. Demnach bedürfe es keiner aktiven Handlung gegen Beamte, um den Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu erfüllen. Häußler hatte für die Angeklagten höhere Geldstrafen gefordert. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch. Ihre Mandantinnen hätten sich zu keiner Zeit den Beamten widersetzt, sondern nur „Widerstand in Form einer Meinungsäußerung“ geübt; auch hätten sie zu keiner Zeit Gewalt angewandt. Einen Widerstand gegen Beamte habe es also nicht gegeben. Picasso und Rapp hätten sich sogar „sehr kooperativ“ verhalten.

Dies bestätigten die vier als Zeugen gehörten Polizeibeamten der eingesetzten Einheiten. Sie erinnerten sich gut an das Losschneiden der beiden Frauen an den Einsatztagen. Die Frauen hätten sich nicht widersetzt, sondern seien „absolut kooperativ und ruhig gewesen“, wie es einer der Beamten formulierte. „Es ist ein stiller Protest gewesen, um die Bäume zu retten“, so die Einschätzung des Beamten, der die beiden Frauen am frühen Morgen des 15. Februar 2012 im Schlosspark vom Baum losgemacht hat. Dafür musste er mit einem Kollegen Ketten, die mit Bügelschlössern zusammengeschlossen waren, per Bolzenschneider entfernen. Mit zwei Motorradbügelschlössern, die um den Hals der beiden Frauen lagen, waren diese zudem aneinander gekettet. Auch diese Schlösser mussten aufgebrochen werden.

Angekettet für mehr Aufmerksamkeit

Ihnen sei von Anfang an bewusst gewesen, dass sie weder den Abriss des Südflügels noch die Fällung der Bäume verhindern konnten, sagten die beiden Frauen. Sie gaben umfangreich zu ihren Protestaktionen Auskunft. Sie hätten sich bewusst angekettet, um eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erreichen. „Wir wollten ein Zeichen setzen mit dieser symbolischen Handlung“, so Myriam Rapp. Widerstand gegen Beamte oder Gewalt in anderer Form, so schilderten es Rapp und Picasso, komme für sie nicht in Frage. Die Polizei sei nicht ihr Gegner. Die werde bei den S-21-Einsätzen nur verheizt, so Picasso. Ob Picasso und Rapp das vom Amtsgericht gefällte Urteil annehmen oder ob sie in Berufung gehen, steht noch nicht fest.

Zwei Tage vor der Verhandlung war ein Rentner, der Stuttgart 21 verhindern will, zu einer Geldstrafe in Höhe von 600 Euro verurteilt worden; er will gegen das ebenfalls vom Amtsgericht verhängte Urteil in Berufung geht. Er ist wegen gemeinschaftlicher Nötigung verurteilt worden, da er sich im Spätsommer 2010 an vier Sitzblockaden beteiligt hat und dabei in drei Fällen von der Polizei weggetragen worden ist.

Da die Polizei die S-21-Gegner am 25. August 2010 und bei späteren Blockaden jeweils mehrfach erfolglos dazu aufgefordert habe, die Baustellenzufahrt freizugeben, sei laut Staatsanwaltschaft der Tatbestand der Nötigung gegeben. Dies sah das Gericht ebenso.