Der SWR darf laut einem Urteil des Stuttgarter Landgerichts weiterhin Bilder von einer Undercover-Reportage bei Daimler verwenden. Ein Mitarbeiter des Senders hatte dazu als Leiharbeiter bei dem Konzern angeheuert. Daimler akzeptiert das Urteil nicht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Im Rechtsstreit um eine Undercover-Reportage aus dem Werk Untertürkheim ist der Autokonzern Daimler in erster Instanz klar unterlegen. Das Landgericht Stuttgart wies am Donnerstag seine Klage gegen den Südwestrundfunk (SWR) ab, mit der dem Sender verboten werden sollte, heimlich gedrehte Aufnahmen weiter zu zeigen. Nach dem Urteil der 11. Zivilkammer sind die Bilder zwar rechtswidrig entstanden; der als Leiharbeiter getarnte Reporter habe das Hausrecht von Daimler verletzt. Sie dürften aber dennoch gezeigt werden, weil die damit dokumentierten Praktiken „von weiten Kreisen der Bevölkerung als ein einschneidender Missstand wahrgenommen würden“. Der SWR zeigte sich durch das Urteil bestätigt, Daimler kündigte an, in Berufung zu gehen.

 

Die Reportage mit dem Titel „Hungerlohn am Fließband“ war bereits im Mai 2013 ARD-weit ausgestrahlt worden. Für die Recherche hatte sich der SWR-Reporter Jürgen Rose als Mitarbeiter einer Fremdfirma ins Werk Untertürkheim einschleusen lassen, wo er zwei Wochen lang mit versteckter Kamera filmte. Der Beitrag löste eine intensive Debatte über sogenannte Werkverträge aus; deren Umfang hat Daimler inzwischen reduziert.

Vom Steuerzahler subventioniert

In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter Christoph Stefani, die Aufnahmen belegten zwar keine rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung. Sie enthielten aber „gewisse Indizien“ dafür, dass der SWR-Reporter „Hand in Hand mit der Stammbelegschaft“ tätig gewesen sei und vom Stammpersonal auch Weisungen erhalten habe. Die Reportage habe deutlich gemacht, dass der Einsatz von Arbeitskräften im Rahmen von Werkverträgen dazu führen könne, dass diese für die gleiche Arbeit deutlich weniger Lohn erhielten – zum Teil so wenig, dass die Bezüge durch Leistungen der öffentlichen Hand aufgestockt werden müssten. Letztlich werde der Arbeitgeber damit vom Steuerzahler subventioniert. Dies werde von der Bevölkerung als „krasser, einschneidender Missstand“ wahrgenommen.

Laut Stefani orientierte sich das Gericht an der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, ging aber darüber hinaus. Im Fall des Undercover-Reporters Günther Wallraff habe dieses ein überwiegendes öffentliches Interesse nur dann bestätigt, wenn rechtswidrige Zustände dokumentiert würden. Die Kammer halte die Verwendung heimlich gedrehter Aufnahmen auch dann für zulässig, wenn zwar nicht rechtswidrige, aber andere „gravierende Missstände“ belegt würden; um solche handele es sich. Die Meinungs- und Rundfunkfreiheit des SWR wiege daher schwerer als die Nachteile, die Daimler durch die „rechtswidrige Informationsbeschaffung“ hinnehmen müsse.

Daimler akzeptiert das Urteil nicht

Der Autokonzern will das Urteil „selbstverständlich“ nicht akzeptieren. Man werde „bis zum BGH oder darüber hinaus“ gehen, sagte ein Unternehmenssprecher unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Positiv wertete er, dass das Gericht festgehalten habe, die Aufnahmen seien rechtswidrig entstanden. Ansonsten könne man die Entscheidung nicht nachvollziehen. Daimler halte den SWR-Beitrag nach wie vor für „manipulativ“; darin würden Behauptungen aufgestellt, die die Aufnahmen nicht belegten. Laut dem Daimler-Sprecher ist der Rechtsstreit für die gesamte Industrie von Bedeutung. Auch andere Unternehmen seien betroffen.

Der Südwestrundfunk zeigte sich erfreut über die Entscheidung. Man sehe sich dadurch in der Auffassung bestätigt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in diesem Fall schwerer wiege als das Interesse des Unternehmens. „Dieses Urteil ist nicht nur eine gute Nachricht für den Südwestrundfunk, sondern für die gesamte deutsche Medienlandschaft“, sagte ein Sendersprecher. Das Gericht verdeutliche, dass die Aufdeckung gesellschaftlicher Missstände auch mit den Mitteln der investigativen Recherche möglich sein müsse. Damit werde klargestellt, „dass die Pressefreiheit nicht an Werkstoren endet“.