Der Amerikaner James Ellroy stellt ein neues Buch "Blut will fließen" in Stuttgart vor. Er gilt als härtester Knochen im Krimigewerbe.

Stuttgart - James Ellroy hat über Serienkiller geschrieben, bevor das Mode wurde. Als Ende der achtziger Jahre alle anderen das Motiv aufgriffen, arbeitete er längst an Kriminalromanen, die Personen der Zeitgeschichte und erfundene Figuren in bösen Hinter-den-Kulissen-Varianten der jüngeren US-Geschichte zusammenführten. Am Donnerstag um 20 Uhr stellt er im Literaturhaus Stuttgart seinen neuen Roman "Blut will fließen" vor.

Es ist wahrscheinlich gar kein Tadel, sondern eine Feststellung, die selbst die begeisterten Leser Ihrer Bücher machen: dass darin die Protagonisten nach und nach so deformiert, aufgefasert, wahnsinnig werden, dass man die Figuren kaum noch auseinanderhalten kann. Ist das Vorsatz?


Das muss ich jetzt aber mal betonen: das ist keine Absicht. Das liegt dann an den Lesern, nicht an mir als Autor. "Blut will fließen" erzählt von drei Männern, die Ende der sechziger Jahre den Sturmwind der Geschichte reiten. Don Crutchfield ist ein Bübchen, ein Niemand, ein Schnüffler, der Leute bei außerehelichen Aktivitäten fotografiert. Dwight Holly, FBI-Agent, ist ein Zögling des Ku-Klux-Klan, ein Mann, der den Rassenhass mit der Muttermilch eingesogen hat. Er will dem FBI-Chef J. Edgar Hoover, dem er persönlich verpflichtet ist, helfen, dessen persönlichen Traum zu verwirklichen: Martin Luther King aus der amerikanischen Geschichte zu löschen. Und Wayne Tedrow war schon Teil des vorigen Romans meiner Trilogie "Underworld USA", "Ein amerikanischer Albtraum". Tedrow hat Gnade gegenüber einem schwarzen Verbrecher walten lassen, was ihn nun über Bande mitten in eine Verschwörung führt. Das sind sehr ausdifferenzierte Charaktere, nicht nur, weil einer in seinen Fünfzigern, einer in seinen Dreißigern und einer in seinen Zwanzigern ist.

Es geht zum ersten Mal in großem Stil um die politischen Haltungen der Figuren, um ethische Entscheidungen jenseits taktischen Strebens nach Vorteilen im Großstadtdschungelkampf.


Genau, das unterscheidet diesen Abschlussband der Trilogie von den beiden vorigen. Es geht ausdrücklich um Ideologie, um Haltungen zur Revolution, um Bekehrungserlebnisse, um die Fähigkeit, an etwas zu glauben. Alle drei Männer suchen nach einer Erfahrung der Transzendenz, nach Gott, nach Läuterung, nach der Möglichkeit, über ihr altes Selbst hinauszuwachsen. Es ist mein erster, aber gewiss nicht mein letzter metaphysischer Roman.

Wer den knallharten Ellroy sucht, der längst ein Markenartikel geworden ist, wird ihn in "Blut will fließen" finden. Aber in mancher Hinsicht ist das auch Ihr zartestes Buch. Sie selbst sprechen jetzt gar von Metaphysik. Was hat diesen Wandel denn ausgelöst?


Ich hatte einen Nervenzusammenbruch. Meine Ehe ist auseinandergegangen. Ich habe mich verliebt. In eine Frau, die ganz anders ist als ich, auch politisch. Ich bin ein mürrischer Konservativer, sie ist eine hoffnungsvolle Linke. Diese Frau, diese Konfrontation, dieses Scheitern haben alle Eingang in den Roman gefunden. Außerdem bin ich gar kein so durch und durch pessimistischer Autor, wie das immer dargestellt wird. Ich entwerfe eine schmutzige historische Realität hinter dem, was als offizielle Variante der jüngeren Geschichte tradiert wird. Eine Welt voller zwielichtiger, kaputter und böser Typen. Aber mein neuer Roman ist doch, wenn man genau hinschaut, voller Hoffnung.

Wenn die zarteren Momente persönliche Wurzeln haben, stellt sich natürlich die Frage, ob auch all die Obsessionen und Wahngebilde Ihrer Figuren autobiografische Elemente enthalten. Und ob das Schreiben für Sie eine Höllenerfahrung ist.


Natürlich ist manches von dem, was in meinen Figuren vorgeht, sehr nachvollziehbar für mich. Vieles stammt aus Beobachtungen. Einige der Menschen gibt es ja wirklich, und ich kenne sie. Wobei ich sie für die Bücher teils stark verändere. Aber ich behalte die Kontrolle beim Schreiben. Das ist ein Arbeitsprozess, auf den ich mich voll konzentriere. Wenn ich mein Tagwerk vollbracht habe, schalte ich ab.

Ihre Bücher bestechen durch den schonungslosen Blick auf Menschen und Geschichte. Aber es sind auch Sprachkunstwerke. Niemand sonst verbindet Slang, den Dreck der Alltagssprache, krasse Vulgaritäten und Aktentrockenheit zu einer so elektrisch aufgeladenen, packend ungemütlichen Prosa. "Blut will fließen" ist aber nicht ganz so elliptisch, hart und stroboskopgrell wie die Vorgänger.


Ich war da am Endpunkt einer Entwicklung angelangt. Weiter hätte ich nicht mehr verdichten können. Das wäre Selbstkarikatur geworden. "Blut will fließen" ist eine historische Romanze, für die ich den richtigen Ton gesucht habe.

So hart Ihre Sprache ist, so musikalisch ist sie in ihrer Motivführung. Hat der Jazz sie beeinflusst?


Nein, nur klassische Musik. Jazz kommt in meinen Romanen vor, aber ich höre lieber Beethoven und Bruckner. Aber es stimmt, Musik prägt meine Motivbehandlung.

Schon vor beinahe zwanzig Jahren, nach Abschluss des L.A.-Quartetts mit "White Jazz" 1992, haben Sie bekannt, Sie möchten keine Bücher mehr schreiben, die als Krimis kategorisiert werden könnten. Sie wollten Ihre künftigen Werke als historische Romane beachtet sehen. Ist Ihnen das gelungen?


Ein Buch von James Ellroy wird wohl in alle Ewigkeit als Kriminalroman wahrgenommen werden. Das führt dazu, dass manche Leute es von vornherein nicht ernst nehmen. Aber daran kann ich nichts ändern. Das ist nun einmal nichts, was der Autor in der Hand hat.

Historisch ist an "Blut will fließen" unter anderem der Versuch der Mafia, in der Dominikanischen Republik ein Hotel- und Casinoimperium aus dem Boden zu stampfen, um ihre verloren gegangenen Spielhöllen auf Kuba zu ersetzen. Haben Sie in der Dominikanischen Republik und im Nachbarstaat Haiti selbst recherchiert?


Nein, ich beauftrage immer andere Menschen mit historischen und sonstigen Recherchen. Ich weiß aber sehr genau, was ich brauche und verwerten kann. Ich stelle quasi eine Einkaufsliste der Fakten zusammen. In diesem Fall habe ich jemanden in die Dominikanische Republik geschickt, aber nicht nach Haiti. Das wäre zu gefährlich gewesen.

Sie hatten einmal angekündigt, Ihre alternative Geschichtsschreibung nur bis zur Watergate-Affäre zu führen. Gilt das weiter?


Ja, Watergate ist schon ausführlich in allen Variationen behandelt worden. Dem muss ich nichts hinzufügen. Ich habe genug andere Themen. Mein neues Buch, "The Hilliker Curse", ist eine Autobiografie. Es handelt von den Frauen in meinem Leben, meiner Besessenheit von ihnen.

Ihre Romane sind auch Sprachmuseen. Sie bewahren Arten des Redens auf, die viele gerne vergessen würden, eine sexistische, rassistische, durch und durch antiliberale Sprache. Müssen Sie sich, um diese Verdichtung der Sprache von damals erzielen zu können, vom Kontakt mit dem Umgangston heute möglichst fernhalten?


Ich bin nicht so interessiert an der Gegenwart. Ich nutze keinen Computer, ich bin nicht im Internet unterwegs. Ich brauche Abstand zu den Dingen, um über sie zu schreiben. Ich bin auch kein Typ, der viel weggeht. Ich sitze allein im Dunkeln und denke nach. Das aber gründlich.

Das Drumherum wirkt in Ihren Büchern oft wie ein unerträgliches Land. Haben Sie schon einmal daran gedacht, die USA zu verlassen?


Nein. Wirklich nie.