US-Präsident Barack Obama hat die Wiederwahl deutlich gewonnen und die Demokraten feiern enthusiastisch den Sieg. Doch Obama regiert ein zerrissenes Land. Eine Reportage der Wahlnacht von unserem US-Korrespondenten Andreas Geldner.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - Es ist nicht mehr der Grant Park in Chicago wie noch 2008, wo Hundertausende die Wahl des ersten schwarzen Präsidenten der USA unter freiem Himmel in einer Welle der Euphorie gefeiert haben. Barack Obama ist bescheidener geworden. Eine Kongresshalle für ein paar zehntausend Anhänger, die um die wenigen Tickets geradezu kämpfen mussten, muss vier Jahre später genügen. Man habe das Publikum nicht den Unbilden des Wetters ausliefern wollen, so hatte Mitte Oktober die Begründung für den intimeren Rahmen gelautet. Es war die Zeit, als die Demokraten nach einem schlechten ersten Debattenauftritt des Präsidenten, ernsthaft nervös wurden.

 

Auf einer kleinen Bühne taucht kurz nach Mitternacht Chicagoer Zeit der Präsident im Pulk mit seiner Frau und den beiden Töchtern auf. Sasha und Malia sind in die Höhe geschossen – und Barack Obama hat graue Haare. Seiner Frau Michelle winkt er ab, als sie ihm einen triumphierenden Handschlag geben will. Nur die Rhetorik scheint die alte. Von einem Amerika redet der Präsident, das mehr als nur eine Ansammlung von roten und blauen, in die Farben von Republikanern und Demokraten getauchten Einzelstaaten sei. „Liebe und Barmherzigkeit, Pflichtgefühl und Patriotismus machen dieses Land groß“, sagt Obama fast im Predigerton: „Hoffnung ist dieses hartnäckige Ding in einem drinnen, das beharrlich bestehen bleibt.“

Es klingt fast wie ein flehentlicher Appell zu politischer Versöhnung. Der Präsident spricht von den Widersprüchen, von dem Streit und der Konfrontation, welche die Vereinigten Staaten durchzögen. „Die Demokratie in einem Land mit 300 Millionen Einwohnern kann manchmal ziemlich unordentlich sein,“ sagt er – und redet da aus tiefer eigener Erfahrung. Der Sieg war knapp, das weiß Obama, auch wenn sein durch das Wahlsystem bedingter, klarer Vorsprung von 332 zu 206 Wahlmännern etwas anderes suggeriert. Kaum die Hälfte der Amerikaner hat ihn gewählt. Für viele aus der anderen Hälfte ist er nach vier Jahren immer noch der Feind, der die Vereinigten Staaten bis zur Unkenntlichkeit deformieren will.

Trotz hoher Arbeitslosigkeit wurde Obama wiedergewählt

Angesichts der eher bescheidenen Wirtschaftszahlen und der relativ hohen Arbeitslosigkeit ist Barack Obamas Wiederwahl im historischen Vergleich mit anderen Präsidenten fast ein Wunder. Er hat sie den tausenden Menschen zu verdanken, die in einem in der Geschichte amerikanischer Präsidentschaftswahl noch nie da gewesenen, von einer enormen Datenbasis aus gesteuerten Einsatz noch den letzten potenziellen Wähler für Obama aufgespürt und zu den Wahllokalen gebracht haben

Ein Signal zu einem politischen Aufbruch sind die wenigen hunderttausend Stimmen, die Obama mehr als sein republikanischer Rivale einsammeln konnte, wohl kaum. Bis zuletzt hatte Mitt Romney an den Sieg geglaubt. Noch nicht einmal eine Rede für den Fall seiner Niederlage soll er in der Schublade gehabt haben. Und auch mit dem schmerzlichen, offiziellen Eingeständnis wartete er eineinhalb Stunden, als längst sämtliche US-Fernsehsender einschließlich des konservativen Nachrichtenkanals Fox News Barack Obamas zweite Amtszeit ausgerufen hatten. Dementsprechend kurz, aber auch von ungewöhnlich vielen menschlichen Zwischentönen geprägt, fiel der Auftritt des Ex-Managers aus. „Wir können uns keine parteipolitischen Streitereien leisten“, sagte Romney, der unter dem Druck der rechten Eiferer in seiner Partei wohl viel zu spät in diesem Wahlkampf in die Mitte gerückt ist.

Für seine eigene Partei ist Romney ab sofort ein Mann von gestern. Nie hatte er bei den Republikanern eine Hausmacht. Nie wurde er vom dort tonangebenden rechten Flügel geliebt. Sein erzkonservativer, erst 42 Jahre alter Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan hat hingegen eine große Zukunft vor sich, sollten die Republikaner angesichts der Niederlage ihr Heil in einem weiteren Rechtsruck suchen. „Ich will in den kommenden Wochen mit Mitt Romney zusammentreffen, um Wege zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Republikanern und Demokraten zu suchen“, sagte Obama in seiner Siegesrede.

Das wird vergebliche Liebesmühe sein. Auf dem konservativen Nachrichtenkanal Fox News, der das Paralleluniversum verkörpert, das sich die amerikanischen Konservativen beim Blick auf die USA geschaffen haben, war zu besichtigen, worüber der wiedergewählte Präsident auch in einer zweiten Amtszeit stolpern könnte.

So mancher Republikaner will die Niederlage nicht wahr haben

Noch kurz bevor Romney seine Niederlage eingestand, verweigerten sich führende Republikaner schlicht den Realitäten. Karl Rove, ehemaliger Wahlstratege von George W. Bush bastelte sich in dem konservativen Sender seine eigene Zahlenwelt. Als längst klar war, dass Romney keine Chance mehr hatte auf den Sieg in dem alles entscheidenden Bundesstaat Ohio, schwadronierte Rove vor Fernsehkameras unverdrossen, dass noch nicht alles verloren sei: „Warten Sie noch auf Hamilton County! Da gibt es viele Republikanerstimmen.“ Am Ende musste eine verwirrte und angesichts der Nebelkerzen des republikanischen Oberstrategen auch etwas verschnupfte Fernsehmoderatorin zwischen ihren eigenen Wahlforschern und Rove ein paar mal hin und her pendeln, um die Wahrheit zu ergründen. Doch um objektive Wahrheiten scheint es manchen obamafeindlichen Konservativen auch nach dessen Wahlsieg nicht zu gehen. Charles Krauthammer, der Doyen der konservativen Publizisten in den USA, wussten schon vor dem Ende der Auszählungen: „Obama hat kein Mandat“. Die Gräben bleiben.

Um zu erspüren, wie tief sie sind, reichte am Wahltag eine Tour ins Umland von Washington. Die Kleinstadt Warrenton in Virginia, eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt, steht für die tief greifenden Trends, die zum zweiten Mal binnen vier Jahren dazu führten, dass der einst solide republikanische Bundesstaat Virginia knapp im Obama-Lager landete. Noch machen Schwarze und Latinos zusammengenommen in Warrenton weniger als ein Viertel der Bevölkerung aus. Doch am Rande des Ortes sind in den vergangenen Jahren Wohnsiedlungen für Pendler gewachsen, die von hier aus in die Bürokomplexe der US-Hauptstadt fahren. Demokraten und Republikaner mussten sich bei dieser Wahl zum zweiten Mal nach 2008 die Stimmen teilen. Nur das ländliche Umfeld blieb fest in den Händen von Romney.

Für die Wähler gibt es Kaffee gratis

In der kleinen Bäckerei, die direkt gegenüber dem in eine Kirche verlegten Wahllokal lag, gab es für jeden Wähler einen Becher Kaffee gratis. Doch in einem gespaltenen Land trügt selbst eine solche Kleinstadtidylle. Für Mary und Roger Miller, die in der örtlichen republikanischen Partei aktiv sind, war diese Präsidentschaftswahl nicht einfach ein normaler demokratischer Akt. Für die weißen Rentner war es die Entscheidung zwischen dem Überleben der USA und ihrem Untergang: „Wenn Obama siegt, dann wird er unsere Souveränität bei den Vereinten Nationen abgeben“, sagte Mary Miller noch vor den ersten Ergebnissen voraus: „Er hat schon drei solcher Verträge in den Schubladen. Das sind die Fakten.“

Nie hat sie den Präsidenten in seinem Amt wirklich akzeptiert. Er ist das Symbol für Veränderungen, die unheimlich und überschaubar sind: „Ich will nicht, dass es hier wird wie in Europa. Das ist für mich Kommunismus“, sagte die Rentnerin, während ihr Mann, der stolz die grüne Schirmmütze eines Vietnamveteranen trägt, stumm dazu nickte. Es ist Angst vor der schleichenden Verwandlung der gewohnten Lebenswelt. „Mit seiner Gesundheitsreform landen wir endgültig im Sozialismus“, sagte ihre Parteifreundin Georgina Clark, die mit einem patriotisch beflaggten Tischchen im Rücken, den Passanten Flugblätter mit den richtigen Wahlempfehlungen in die Hand drückte: „Obama war doch ein totaler Versager – ich kann nicht verstehen, wie Leute so dumm sein können, für ihn zu stimmen.“

Liberaler geht es kaum: Maryland

Für die andere Seite dieses politischen Grabens, steht der von Virginia nur durch einen Fluss getrennte, erzliberale Bundesstaat Maryland, der sich am Abend der Präsidentschaftswahl dadurch auszeichnete, dass erstmals in den USA die Homosexuellenehe per Volksabstimmung eingeführt wurde. In Silver Spring, einer von Menschen aller Hautfarben geprägten Vorstadt am Stadtrand von Washington, blickten die demokratischen Wahlhelfer Ed und Joan King, in einer irischen Kneipe, wo Obama-Sympathisanten den Wahlabend am Fernsehschirm verfolgten, mit Unverständnis auf den Bundesstaat südlich von Marylands Grenzen. Sie hatten tage- und wochenlang versucht, Wähler in allen Regionen Virginias auf Barack Obama einzuschwören. Im ländlichen Hinterland, abseits des Ballungsraums rund um Washington war das aber meist vergeblich. „Ich glaube denen nicht, wenn sie behaupten, dass sie wegen der wirtschaftlichen Probleme gegen Obama sind. Das ist oft der Deckmantel für einen eingefleischten Rassismus“, sagte Joan King die einst als Zeitungsjournalistin auf der amerikanischen Pazifikinsel Guam die Welt kennengelernt hat, und deshalb den „multikulturellen“ Barack Obama von Anfang an sympathisch fand.

Kopfschüttelnd erzählte sie von ihrem Telefongespräch mit einem offenbar weißen 24-Jährigen, der von den politischen Fakten keinerlei Ahnung gehabt habe: „Er hat tatsächlich geglaubt, dass unsere Wirtschaftskrise unter Obama begonnen hat und nicht unter George W. Bush.“ Doch schlimmer noch: „Er hat gesagt, dass er für Romney stimmen wolle, weil er in seiner Umgebung nur Schwarze kennt, die für Obama votiert haben.“