Die Vergewaltiger einer Studentin sollen am Galgen hängen. Viele nehmen das Urteil jubelnd auf. Die Gesellschaft dürfe keinerlei Toleranz für solche Verbrechen zeigen, meinen die Richter.

Neu Delhi - Als der Richter das Urteil verliest, bricht der 20-jährige Vinay Sharma schluchzend zusammen, die drei anderen Angeklagten flehen um Gnade. Vor dem Gebäude, wo seit Stunden eine Menge ausharrt, brandet Jubel auf. Neun Monate hat Indien auf diesen Moment gewartet. Am Freitag verurteilte ein Spezialgericht die vier volljährigen Vergewaltiger und Mörder der Inderin, deren Martyrium die Welt schockte, zum Tode am Galgen.

 

„Ruhe in Frieden, Löwenherz. Alle vier werden hängen“, titelte der TV-Sender „Headlines today“. Das Urteil kam nicht überraschend, zu unfassbar war die Tat. Sechs Männer hatten die Studentin und ihren Freund am 16. Dezember in Delhi in einen Bus gelockt. Dort vergewaltigten und folterten sie die 23-Jährige so bestialisch, dass Ärzte von einer Gewaltorgie sprachen. Die Frau starb zwei Wochen später.

Richter: Keinerlei Toleranz für solche Verbrechen

Mit der Todesstrafe wollten die Richter ein Zeichen setzen, dass Indien solche Verbrechen nicht duldet. Die unvergleichliche Brutalität habe das „kollektive Gewissen der Nation“ erschüttert, sagte der Richter. Die Gesellschaft dürfe keinerlei Toleranz für solche Verbrechen zeigen und müsse ein Exempel statuieren. Das Gericht sprach die vier neben der Vergewaltigung auch des Mordes schuldig. Die Eltern des Opfers begrüßten das Urteil. „Endlich finden wir Frieden. Die Täter bekommen die Strafe, die sie verdient haben”, sagte die Mutter unter Tränen und appellierte an andere Frauen, sich zur Polizei zu trauen.

Vor zwei Wochen war der jüngste Täter zu drei Jahren Jugendarrest verurteilt worden. Der sechste Täter war im März erhängt in seiner Zelle gefunden worden. Dass die vier Männer im Alter von 19 bis 28 tatsächlich am Galgen enden, ist nicht sicher. Die Anwälte wollen Berufung einlegen, die Prozesse könnten sich über Jahre ziehen. Ohnehin wird die Todesstrafe weit seltener vollstreckt als in den USA oder China. Die Todesstrafe spaltet das Land – 40 Prozent wollen sie laut Umfragen abschaffen.

Wochenlange Massenproteste

Das Verbrechen von Delhi markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes. Erstmals schaute Indien nicht weg, sondern stellte sich der Horrortat, allen voran die Medien, die groß berichteten. Die Nation verfolgte den Todeskampf der jungen Frau mit, sie wurde zum Symbol für die Gewalt, die Indiens Frauen täglich erleiden. Dann geschah etwas Neuartiges. Über Wochen gab es spontane Massenproteste. An der Spitze stand die wiedererstarkte Studentenbewegung. Sie forderte nichts Geringeres als ein neues Wertesystem.

Das Urteil setzt vorerst einen Schlusspunkt unter den Fall. Für viele Inder ist damit Gerechtigkeit getan, auch die Politik würde das Thema lieber heute als morgen ad acta legen. Doch der Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen ist noch lange nicht gewonnen.

Es gibt Zeichen für einen Bewusstseinswandel

Dennoch hat sich Indien für immer verändert. Allerorten gibt es Zeichen für einen Bewusstseinswandel, einen wachsenden Widerstand. Immer wieder flammen nun nach Vergewaltigungen Proteste auf, selbst in entlegenen Regionen. Mehr und mehr Frauen machen ihr Leid öffentlich. Allein in Delhi verdoppelte sich dieses Jahr die Zahl der gemeldeten Vergewaltigungen auf über 1000. Selbst Bollywood nimmt sich nun des Tabuthemas an. Der Film „Kill the rapist?” (Den Vergewaltiger töten?) soll Frauen ermutigen, zur Polizei zu gehen. Prominente Schauspieler und Sportler gründeten MARD, eine Männerinitiative gegen Gewalt. Und in einer revolutionären Kampagne werden Indiens verehrte Göttinnen mit Wunden und blauen Augen gezeigt, um gegen Gewalt zu mobilisieren. Die Politik verschärfte Gesetze und richtete Schnellgerichte, auch wenn diese erst noch zeigen müssen, dass sie ihren Namen verdienen.

Motor des Wandels ist die junge Mittelschicht in den Städten. Auf dem Lande, wo noch immer 70 Prozent der Inder leben, bewegt sich dagegen nur wenig. In vielen Regionen herrschen grausame, zutiefst patriarchalische Strukturen, die durchaus an die Taliban erinnern. Frauenrechtlerinnen machen sich daher keine Illusionen. Es werde mindestens eine Generation dauern, bis sich tief verwurzelte Denkmuster ändern, meint die prominente Aktivistin Ranjana Kumari.