Jeder sechste Erwachsene in Deutschland kann nicht besser lesen als ein Grundschulkind. Die OECD fordert deshalb eine Weiterbildungsoffensive. Auch Ältere seien lernfähig, so die Forscher. Das zeigen Ergebnisse in Südkorea und Finnland.

Die Bevölkerung schrumpft und wird im Durchschnitt immer älter. Zugleich wächst bei deutschen Unternehmen der Bedarf an bestens ausgebildeten Fachkräften. Keine Partei würde deshalb bestreiten, dass auch das Bildungsniveau der Älteren über die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidet. Vor diesem Hintergrund sind die Zahlen einer Vergleichsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über den Bildungsstand der Erwachsenen beunruhigend. Etwa jeder sechste Erwachsene (17,5 Prozent), der sich in der Arbeitswelt bewähren muss, kann demnach hierzulande nicht besser lesen als ein zehnjähriges Kind. Diese Menschen sind bestenfalls in der Lage, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu verstehen. Dies sei die alarmierendste Botschaft, sagte die OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger.

 

Viele Erwachsene können nicht mit Computern umgehen

Auch im Rechnen und im computergestützten Lösen von Problemen ist Deutschland im Vergleich mit 23 anderen Industriestaaten im Durchschnitt bestenfalls Mittelmaß, wobei auch hier die besonders hohe Zahl der Leistungsschwachen den Forschern Sorgen bereitet. Eine „bedeutende Minderheit“ rechnet sehr schlecht, heißt es in der Studie. 18,5 Prozent der Erwachsenen kommen hierzulande über schlichtes Zählen und Sortieren nicht hinaus. Außerdem können noch immer viele Erwachsene im Arbeitsalter nicht mit Computern umgehen. 12,6 Prozent aller Befragten haben keinerlei Erfahrung mit Computern, können also beispielsweise eine Maus nicht bedienen. Bei den meisten beschränke sich die Computertätigkeit auf vertraute Anwendungen. Lediglich 36 Prozent seien in der Lage, mit komplexeren Arbeiten, etwa dem Navigieren über Webseiten, fertig zu werden. Allerdings liegt hier Deutschland sogar noch etwas über dem OECD-Durchschnitt (34 Prozent).

In Japan und Finnland sind die Werte deutlich besser

Für die Studie wurden allein in Deutschland 5500 Personen aller Bevölkerungs- und Bildungsschichten im Alter zwischen 16 und 65 Jahren ausgewählt und bis zu zwei Stunden lang getestet und befragt. Die besten Werte wurden in Japan und Finnland ermittelt. Dort haben die Erwachsenen gegenüber Gleichaltrigen in Deutschland einen Kompetenzvorsprung, der dem Lernumfang von bis zu fünf Schuljahren entspricht. Die schwächsten Ergebnisse wurden in Spanien und Italien ermittelt.

Die Studie bestätigt außerdem die Ergebnisse früherer Erhebungen, wonach der Bildungserfolg in Deutschland in besonderem Maße von der sozialen Herkunft abhängt. „In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab wie hierzulande“, sagte die OECD-Bildungsdirektorin Ischinger. Erwachsene Testpersonen, deren Eltern weder Abitur noch Berufsausbildung haben, erzielten in Sachen Textverständnis im Schnitt 54 Punkte weniger als jene, bei denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief hat. Sieben Punkte entsprechen auf der Leistungsskala dem Lernvolumen eines Schuljahrs. Nur in den USA ist die Abhängigkeit vom Bildungsstand der Eltern noch größer.

Ein niedriges Bildungsniveau prägt bis zum Lebensende

Die Studie belege, dass ein niedriges Bildungsniveau ein Leben bis zum Ende negativ prägen könne, sagte Ischinger. Wenn es nicht gelinge, diese  Erwachsenen weiterzubilden, blieben sie trotz des Fachkräftemangels dauerhaft von der Berufswelt abgehängt. Die Betroffenen hätten im Durchschnitt einen deutlich geringeren Verdienst, seien häufiger arbeitslos und öfter krank.

„Besorgnis erregend“ ist laut Studie das Ergebnis jener, die über einen Hauptschulabschluss oder über gar keinen Abschluss verfügten. Über die Hälfte dieser Personen erreichte sowohl im Lesen als auch im Rechnen nur die Kompetenzstufe I und ist damit „lediglich in der Lage, sehr einfache, elementare Aufgaben zu bewältigen“. Ischinger rügte deshalb, dass sich die vorhandenen Weiterbildungsangebote in Deutschland vor allem an die sowieso schon gut ausgebildete Schicht der Erwerbstätigen richten würden. Angebote für Erwachsene seien ohnehin „eher spärlich“.

Die 16- bis 24-Jährigen profitieren von den Reformen nach Pisa

Die Studie liefert aber auch einige Lichtblicke. Die Jüngeren holen nämlich weiter auf. Die 16- bis 24-Jährigen, die bereits von den Reformen nach dem Schock des ersten Pisa-Vergleichstests im Jahr 2000 profitierten, schneiden demnach besser ab als ältere Jahrgänge. Beatrice Rammstedt, eine der Autorinnen der Studie, sagte: „Wir holen also auf, sind aber noch nicht da, wo wir sein wollen und sollen.“ Das Kompetenzniveau bleibt bis zur Gruppe der 44-Jährigen annähernd gleich, danach weisen die Befragten „vergleichsweise geringere Kompetenzen“ auf. Dies sei laut Studie allein mit dem Alterungsprozess nicht zu erklären, sondern resultiere vor allem daraus, dass Weiterbildungsangebote für Ältere fehlen würden. Die Lernfähigkeit älterer Menschen lasse sich leicht belegen, sagte Ischinger: Länder wie Südkorea und Finnland hätten „in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt. Sie zeigen uns, was mit gezielter politischer Förderung möglich ist.“