Gleich zweimal hatte Porsche den internen Kritiker Siegmar Herrlinger gekündigt. Angesichts einer drohenden Niederlage vor dem Arbeitsgericht trat die Firma nun den Rückzug an.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Im Rechtsstreit mit einem internen Kritiker hat der Sportwagenbauer Porsche vor dem Arbeitsgericht Stuttgart überraschend eingelenkt. Die Vertreter des Unternehmens zogen zwei Kündigungen gegen den langjährigen Mitarbeiter Siegmar Herrlinger zurück. Damit reagierten sie auf Signale des Richters in der mündlichen Verhandlung, er sehe keine ausreichende Rechtsgrundlage dafür. Der seit fast 40 Jahren bei Porsche beschäftigte IT-Experte Herrlinger, der zugleich Bundestagskandidat für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) war, bekommt nun sein seit September gestopptes Gehalt nachträglich ausbezahlt; Ende des Jahres geht er ohnehin altershalber in den Ruhestand. Porsche erklärte sich zudem bereit, die Gerichtskosten zu übernehmen. Zuvor hatten es Herrlinger und sein Anwalt abgelehnt, einen entsprechenden Vergleich zu schließen; sie bestanden auf einer Rücknahme der Kündigungen.

 

Damit endet ein Rechtsstreit, der sich über mehrere Monate hingezogen hatte. Ausgangspunkt waren wiederholte Äußerungen des Mitarbeiters unter anderem zur Diesel-Abgasaffäre, die als Angriffe auch auf Porsche verstanden wurden. Entsprechende Redebeiträge Herrlingers bei Betriebsversammlungen waren auf Kritik von Kollegen, Betriebsrat und Unternehmensleitung gestoßen. Gegen die daraufhin ausgesprochene Freistellung bei laufenden Bezügen hatte er sich bereits erfolgreich vor dem Arbeitsgericht gewehrt. Darauf reagierte Porsche mit zwei aufeinanderfolgenden Kündigungen, die sich auf Wahlkampf-Aktivitäten Herrlingers stützten. Gegen diese war er erneut vor Gericht gezogen.

Empört über Vorwurf des Vergiftens

Der Porsche-Anwalt argumentierte dort, Herrlinger habe die Grenzen zur unzulässigen Schmähkritik mehrfach und nachhaltig überschritten. So werfe er Porsche vor, mit den Abgasen Menschen bewusst und gewollt zu „vergiften“; eine „heftigere Äußerung“ sei kaum denkbar. Auch der Vorwurf der Ausbeutung und Unterdrückung sei völlig abwegig. Bei Porsche bestehe vielmehr eine „wunderbare Arbeitswelt“, es gebe nicht viele Unternehmen, die so viele so gute Arbeitsplätze schaffen würden. Der Betriebsfrieden sei durch die Kritik gestört. Da Herrlinger „komplett uneinsichtig“ sei, wäre auch eine Abmahnung wirkungslos geblieben.

Der Anwalt Herrlingers verteidigte dagegen den Begriff des Vergiftens. Aus den Motoren würden Emissionen freigesetzt, die Menschen einatmeten; sie würden dadurch krank, viele stürben. Genau das sei infolge der Abgasaffäre geschehen und von den Herstellern zumindest billigend in Kauf genommen worden. Beim Vorwurf der Ausbeutung und Unterdrückung sei es nicht unmittelbar um Porsche, sondern um eine gesellschaftliche Frage gegangen. Nicht alles, was der Betriebsleitung nicht gefalle, störe gleich den Betriebsfrieden. Herrlinger fügte hinzu, es sei wohl einmalig in Deutschland, „dass ein Bundestagskandidat gekündigt wird, weil er Wahlkampf macht“. Dies sei nach den einschlägigen Gesetzen nicht zulässig.

Auch im Wahlkampf nicht alles erlaubt

Der Richter machte deutlich, dass es auch im Wahlkampf Grenzen gebe; Schmähkritik, Beleidigungen oder unwahren Behauptungen seien auch dann nicht zulässig. Er äußerte aber starke Zweifel, ob die vom Bundesverfassungsgericht gezogene Grenze zur Schmähkritik im Fall Herrlinger überschritten sei. Dafür müsse „die Diffamierung an sich“ im Vordergrund stehen, nicht die zugespitzte inhaltliche Kritik. Er bezweifelte zugleich, ob durch Herrlinger wirklich der Betriebsfrieden gestört worden sei. „Unmut und Unruhe“ wegen der Abgasaffäre habe es auch unabhängig von ihm gegeben. Die beanstandeten Flugblätter habe Herrlinger zudem nicht selbst verteilt. Allerdings sei dies wohl, wie von Porsche moniert, auf dem Betriebsgelände geschehen, wenngleich der fragliche Teil öffentlich zugänglich sei. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Abgasaffäre sei nicht Sache des Arbeitsgerichts, fügte der Richter hinzu. Nachdem sein Vorschlag für einen Vergleich von Herrlinger abgelehnt worden war, erklärte Porsche, die Kündigungen nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Zum Abschluss der Verhandlung gab sich der Porsche-Anwalt nach allen scharfen Tönen versöhnlich. „Wir wünschen Herr Herrlinger für seinen künftigen Lebensweg alles Gute“, sagte er. Der 65-Jährige, der im Gericht erneut von zahlreichen Unterstützern begleitet wurde, zeigte sich mit dem Ausgang des Verfahrens sehr zufrieden – auch mit der Nachzahlung seines Gehalts. Viele Lacher erntete er im Publikum, als er beiläufig bemerkte, sein Vertrauen in die Entgelt-Abrechnung von Porsche sei „sehr hoch“.