Im öffentlichen Dienst kommt es nun zur Schlichtung – später könnten womöglich eine Urabstimmung und ein großflächiger Streik folgen. Die Gewerkschaften haben die Tarifverhandlungen in der Nacht zu Donnerstag abgebrochen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Drei volle Tage lang haben die Unterhändler von Bund, Kommunen und Gewerkschaften in Potsdam um Gehaltserhöhungen für den öffentlichen Dienst gerungen. In der Nacht zu Donnerstag wurde kurz nach Mitternacht deutlich, dass es nicht gereicht hat. Die Gewerkschaften meldeten das Scheitern der Verhandlungen – ein Szenario, mit dem allerdings nach den vielen Streiks der vergangenen Wochen zu rechnen war.

 

„Kein wirklich verbessertes Angebot vorgelegt“

Zunächst war es der Deutsche Beamtenbund (DBB), also der Juniorpartner der in dieser Tarifrunde maßgeblichen Gewerkschaft Verdi, der den Abbruch vermeldete. „Die Arbeitgebenden haben es nicht verstanden“, kritisierte DBB-Chef Ulrich Silberbach. „Bund und Kommunen respektieren die Sorgen und Nöte ihrer Beschäftigten nicht – und sie schätzen Frustration und Entschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen falsch ein.“ Nur so sei zu erklären, dass sie kein wirklich verbessertes Angebot vorgelegt hätten. „Wir müssen Reallohnverluste verhindern und brauchen einen nachhaltigen Inflationsausgleich“, mahnte er. „Nach jetzigem Stand der Dinge sind die Arbeitgebenden dazu nicht bereit.“

Auch Verdi-Chef Frank Werneke betonte vor Ort: „Am Ende mussten wir feststellen, dass die Unterschiede nicht überbrückbar waren.“ Verdi habe daher das Scheitern der Verhandlungen erklärt – die Gewerkschaftsgremien hätten dies einstimmig beschlossen.

Verdi-Landeschef weist alle Schuld den Arbeitgebern zu

Der baden-württembergische Verdi-Landeschef Martin Gross betonte: „Wir haben den Arbeitgebern in den Verhandlungen mehrere Brücken gebaut, die eine Einigung möglich gemacht hätten – aber insbesondere die kommunalen Arbeitgeber haben bis zuletzt nicht verstanden, welche Verantwortung sie für die materielle Situation ihrer Beschäftigten tragen; zu mehr als einem Ausgleich der prognostizierten Inflation in 2023 waren sie nicht bereit.“ Den gesamten Kaufkraftverlust der letzten beiden Jahre und dazu den des Jahres 2024 sollten die Beschäftigten nach dem Willen der Arbeitgeber dauerhaft tragen. „Auf dieser Basis ergab eine weitere Verlängerung der Verhandlungen keinen Sinn“, versicherte Gross.

Seine Vize Hanna Binder ergänzte, dass es zwar gelungen sei, den Arbeitgebern die Bedeutung einer sozialen Komponente klarzumachen. „Aber die richtige soziale Struktur nützt nichts, wenn die Höhe des Angebots den Menschen nicht hilft“, sagte sie. „Mit den Summen, die auf dem Tisch lagen, reicht den Kolleginnen und Kollegen in den unteren und mittleren Einkommensgruppen ihr Geld nicht mehr bis zum Monatsende.“

Verdi sieht sich durch die massiven Warnstreiks der vergangenen Wochen gestärkt. Von der „größten Warnstreikbeteiligung seit vielen Jahren und Jahrzehnten“ sprach Werneke. Verdi hat mehr als 70 000 Eintritte seit Jahresbeginn registriert. Im Interview unserer Zeitung hatte er jüngst betont: „Ich kann nicht ausschließen, dass es zu einer Urabstimmung kommt – für den Fall der Fälle sind wir vorbereitet.“

Arbeitgeber haben acht Prozent mehr Einkommen angeboten

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte kurz nach dem Abbruch mit: „Wir werden jetzt die Schlichtung einberufen.“ Faeser und die Verhandlungsführerin der Kommunen, VKA-Präsidentin Karin Welge, bedauerten das Scheitern. Die Arbeitgeber hätten acht Prozent mehr Einkommen und eine Mindesterhöhung von 300 Euro als soziale Komponente sowie eine steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsausgleichszahlung von 3000 Euro angeboten. „Die Gewerkschaften haben sich in ihrer Forderung eingemauert und nicht hinreichend bewegt, um eine Brücke zu bauen“, monierte die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Welge. „Wir hätten lieber mit großem Einigungswillen weiterverhandelt.“ Nun werde man die Schlichtung anrufen, um die Bevölkerung vor weiteren Streiks zu bewahren.

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes fordern für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Das Ergebnis soll später zeit- und wirkungsgleich auf Beamte, Richter, Soldaten und mehr als 500 000 Versorgungsempfänger beim Bund übertragen werden. Außerdem haben die bundesweiten Verhandlungen Auswirkungen auf den Verlauf der Tarifrunde von rund 10 000 Beschäftigten bei der Agentur für Arbeit und über 3000 Beschäftigten bei der Deutschen Rentenversicherung im Land.

Silberbach versicherte, wenn Bund und Kommunen die Schlichtung anrufen, werde man sich konstruktiv beteiligen – „wenn nicht, kann es ab Ende April überall im Land zu umfassenden Streikmaßnahmen im öffentlichen Dienst kommen“. Die bisher letzten Schlichtungen fanden 2008 und 2010 statt. Die Gewerkschaften haben diesmal den Bremer Verwaltungswissenschaftler und Tarifrechtsexperten Hans-Henning Lühr als ihren Schlichter benannt – die Arbeitgeber den Schlichtungsroutinier und Ex-Ministerpräsidenten aus Sachsen, Georg Milbradt (CDU). Die Moderation muss spätestens am 6. April beginnen – bis zum 13. April muss eine Empfehlung vorgelegt werden. Während des Verfahrens gilt die Friedenspflicht.

Die Schlichtungskommission ist paritätisch besetzt mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Stimmberechtigt wäre diesmal der Schlichter der Arbeitnehmerseite, also Lühr. Getagt wird an einem noch unbekannten Ort. Spätestens am 18. April müssen die Verhandlungen über die Schlichterempfehlung aufgenommen werden. Aber auch dann droht immer noch der große Streik.